Die Totenmaske
Höhe trafen und einen grünen Bogen schlugen. Von der hellen Nachmittagssonne drang kaum ein Strahl herunter. Während der Fahrt hierher hatte Leon nur wenige Autos gesehen. Dabei war er gut eine Stunde unterwegs gewesen. Die Entfernungen auf dem Land waren in der Tat anders als in der Stadt. Ohne sein externes GPS-Gerät der Polizei hätte er lange nach dem Radargerät suchen müssen. Auch jetzt konnte er das Ding nicht ausmachen, obwohl er eindeutig an der richtigen Stelle stand. Es musste sich dort irgendwo auf der anderen Straßenseite befinden.
Er zog den Schlüssel ab und stieg aus, um die Straße zu überqueren. Außer Vogelgezwitscher und dem Rauschen des Windes in den Bäumen war kein Laut zu hören. Die Überreste eines überfahrenen Igels auf der Fahrbahn zeugten davon, dass die einheimischen Tiere trotz der wenigen Autos, die hier entlangkamen, das Nachsehen hatten. Anscheinend ergab das Radargerät an dieser abgelegenen Stelle Sinn. Erneut überprüfte er die Daten auf seinem Ortungsgerät. Hier musste es sein. Er zog wildwachsendes Gestrüpp zur Seite und fluchte laut, als er sich den Daumen an einer Brombeerranke aufriss. Dabei fiel sein Blick auf ein abgenutztes Tarnnetz inmitten des Gebüsches. Darunter kam die Fotoeinheit eines Einseitensensors zum Vorschein, der in der Tat schon bessere Zeiten erlebt hatte. Er zog einen Schraubenzieher aus der Innentasche seiner Jacke und öffnete das angerostete Gehäuse. Zwar war Leon kein Techniker, doch er konnte zumindest überprüfen, ob das eingebaute Frequenzband intakt war. Soweit er es beurteilen konnte, schien alles in Ordnung. Er schraubte die Klappe wieder an und legte das Tarnnetz auf.
Zwischen dem bisher bekannten Todeszeitpunkt und dem Entstehen des Radarbildes lagen Stunden, was zwar keinen Aufschluss darauf gab, wo die Opfer getötet worden waren, wohl aber darüber, dass mindestens drei der vier Insassen auf dem Radarbild zum Zeitpunkt der Aufnahme bereits tot gewesen waren. Es konnte ganz in der Nähe passiert sein, aber ebenso kilometerweit entfernt. Je nachdem, wann der Täter die Leichen zum Steinbruch transportiert hatte.
Unschlüssig blieb Leon am Straßenrand stehen und schaute sich um. Einsam genug war es hier, um unbemerkt eine Straftat zu begehen. Frau Lenz würde mit ihrer Gewebeprobe aus der Lunge höchstwahrscheinlich einen weiteren Beweis liefern. Somit konnte er in etwa den Tathergang rekonstruieren. Sicher war, dass der Mörder seine Tat wie einen Unfall aussehen lassen wollte. Wenn es sich tatsächlich in etwa so abgespielt hatte, wie er es mit der jungen Bestatterin in Gedanken nachgestellt hatte, war der Mörder ziemlich organisiert vorgegangen. Möglicherweise lag sogar ein durchdachter Plan zugrunde, womit sie es mit vorsätzlicher Tötung zu tun hätten.
In der Hoffnung auf irgendeinen Hinweis ging Leon den Seitenstreifen entlang. Dabei kam ihm immer wieder Zoe Lenz in den Sinn. Ihr widersprüchliches Wesen weckte sein Interesse. Sie zeigte eine bemerkenswerte Kompetenz, sowohl ihr Fachgebiet als auch ihre Kombinationsgabe betreffend. Der Übergriff auf sie durch den Steinewerfer hatte sie spürbar erschüttert. Dennoch verlor sie nicht die Fassung oder wurde hysterisch. Im Gegenteil, der Vorfall schien sie erst recht anzuspornen, sich genauer mit der Angelegenheit zu befassen. Leon musste lächeln, als er sich an ihre wissbegierigen leuchtenden Augen hinter den Vergrößerungsgläsern der Lupenbrille erinnerte. Jeder andere hätte damit lächerlich ausgesehen. Die junge Frau hingegen wirkte damit auf witzige Weise niedlich. Vorher schien ihr Blick eher verhangen, ein bisschen traurig gewesen zu sein. Oder sie war mit den Gedanken ständig unterwegs.
Es machte sie sympathisch, dass sie nicht viel Aufhebens um ihr Aussehen machte. Das brauchte sie auch nicht. In ihrer saloppen Kleidung wirkte sie hinreißend wie die weibliche Ausführung eines zerstreuten Professors mit Superhirn. Der Hauch von Lipgloss war ihm erst aufgefallen, nachdem sie im Café von der Toilette zurückgekommen war. Auf ihre außergewöhnlich geschwungene Lippenform hingegen war er schon bei ihrer ersten Begegnung aufmerksam geworden.
Im Gegensatz zu seiner Ex-Freundin, die bei einem so langen Lokalaufenthalt mindestens dreimal mit ihrem Malkasten in der Damentoilette verschwunden wäre, fand er Zoe Lenz’ Verhalten äußerst erfrischend. Frauen mochte er ohnehin am liebsten morgens nach dem Aufwachen oder nach dem Schwimmen in einem See, wenn
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