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Die Totenmaske

Die Totenmaske

Titel: Die Totenmaske Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Henke
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eine Erklärung schuldig, weil er die Observation hatte auffliegen lassen. Vermutlich würde eine Dienstaufsichtsbeschwerde folgen. Er konnte nur hoffen, dass Willi ihn nicht suspendierte. Immerhin hatte er sich gegen die Vorschrift in einen Fall eingemischt, mit dem er nicht betraut war. Doch Willi wäre sicher nachsichtig. Er würde nicht wollen, dass Leons Arbeit in Birkheim davon beeinträchtigt wurde. Ein Zittern ging durch den Körper der Frau und erinnerte Leon an Zoe Lenz nach dem Anschlag in ihrem Behandlungsraum. Der seltsame Wunsch, wieder im Hunsrück zu sein, überkam ihn. Dort wartete ein dreifacher Mord auf Aufklärung, und Leon wollte die Unschuld einer jungen Frau beweisen.

Kapitel 11
    M it einer fast zärtlich anmutenden Bewegung umfasste Zoe mit gespreizten Fingern den Kiefer von Boris’ Leichnam. Sie hatte sich schräg am Kopfteil der Bahre positioniert, um den bestmöglichen Zugriff auf die nötigen Geräte zu haben. Die Nackenstütze hatte sie vorher abmontiert, um nun Boris’ Kopf behutsam nach hinten zu überdehnen. Längst hatte die Leichenstarre sich gelöst, so dass sich die Halspartie zwar problemlos bewegen ließ, sie aber dennoch achtgeben musste, keinen Schaden an der empfindlichen Gesichtshaut anzurichten. Für morgen stand die Beerdigung auf dem Programm. Für weitere aufwendige Wiederherstellungsarbeit fehlte die Zeit. Allenfalls konnte sie die pergamentdünne Haut am Hals wieder ankleben, wenn sie aufgrund der Überdehnung abblätterte. Das Auffüllen der zuvor eingedrückten Wangenpartie war gelungen, die rekonstruierten Konturen von Nase und Kinn wiesen kaum mehr eine Spur ihres vorherigen desolaten Zustands auf. Zufrieden betrachtete Zoe das Ergebnis und versuchte, das flaue Gefühl der Beklemmung zu ignorieren.
    Doch vorerst war wichtig, dass Boris aussah wie zu Lebzeiten, und das tat er. Dazu war auch eine ganze Palette an Theaterschminke und Fixierpuder nötig gewesen. Sogar eine spezielle Kittmischung aus dem Baumarkt hatte Zoe angewendet, weil sie damit besser arbeiten konnte als mit der kunststoffhaltigen Modelliermasse für Bestatter.
    Mit ruhiger Hand bog Zoe den Kopf Stück für Stück weiter. Dabei konzentrierte sie sich so sehr, dass sie kaum wagte, zu atmen. Immer mehr Risse erschienen an der stark in Mitleidenschaft gezogenen Haut. Das war besorgniserregend, doch nun gab es kein Zurück mehr. Wenn sie an dieser Stelle abbrach, würde der Schaden nicht geringer werden. Und Zoe führte in der Regel immer zu Ende, was sie angefangen hatte. Sie presste die Lippen fest aufeinander und bewegte den Kopf der Leiche mit sanftem Druck, bis endlich der Mund aufklappte. Geschafft! Sie hielt inne und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. Ihr Mundschutz schmiegte sich eng an ihre Lippen, während sie tief durchatmete. Gut, dass sie noch keine Ligatur vorgenommen hatte! Erst wenn sie hiermit fertig war, wollte sie abschließend den Mund- und Rachenraum der Leiche vernähen.
    Zoe griff nach dem elastischen Endoskop und führte behutsam den kunststoffummantelten Schaft durch den Mund in die Luftröhre ein. Natürlich hätte sie für die Gewebeentnahme einfach den T-Schnitt auf der Brust öffnen können. Doch das Risiko war ihr schlicht zu groß, dabei eine der inzwischen zahlreich vorhandenen Fäulnisblasen zu erwischen. Bereits jetzt zogen sich die Leichenflecke bis zum Oberbauch. Ein deutlicher Hinweis von fortgeschrittener Verwesung. Eine postmortale Untersuchung der Darmpartie wäre zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich gewesen, da sich dieser Bereich inzwischen zu einer breiigen Masse zersetzt haben dürfte. Auf die Sauerei, am Ende das Labor von ausgetretener Fäulnisflüssigkeit zu reinigen, konnte Zoe dankend verzichten.
    Wieder war Millimeterarbeit ebenso gefragt wie Geschick. Langsam schob sie den Sehschlauch in die Tiefen des toten Körpers vor, achtete peinlichst genau darauf, nicht zu oft die Wände der sonst so robusten Trachea zu berühren. Ja, sonst war die Luftröhre robust, zumindest solange kein Zersetzungsprozess den sogenannten rauhen Schlauch aufzuweichen drohte wie eine verfaulte Fruchthülle. Für gewöhnlich waren Menschen bei dieser Art von Untersuchung auch nicht tot. Ebenso wenig nahmen Bestatter eine Bronchoskopie vor. Doch Zoe experimentierte gern auf beruflicher Ebene. Sie hatte es nicht anders von ihrem Vater und Großvater gelernt. Unterstützt worden war sie dabei von einem engen Freund ihres Vaters. Peter Schüller war Leiter

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