Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Totenmaske

Die Totenmaske

Titel: Die Totenmaske Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Henke
Vom Netzwerk:
Redeschwall. Keine Namen nennen! Ganovenehre. Sie nahm den Zigarettenstummel zwischen Daumen und Zeigefinger und zog kräftig daran.
    »Als Nächstes willst du mir wohl weismachen, dieser Sören liebt dich, was?« Leon konnte nur mit Mühe seine Wut im Zaum halten.
    Lilians Blick huschte umher wie der eines verletzten Rehs. »Tut er auch.«
    »Klar, dich und ein paar andere Mädchen, die für ihn die Kohle ranschaffen!«
    Leon hielt inne, weil er glaubte, aus einem Nebenzimmer Geräusche zu hören.
    »Du hast überhaupt keine Ahnung, Mann!« Lilians Stimme erhob sich. »Immerzu laberst du, weißt alles besser. Kein Wunder, dass du der Liebling unserer Eltern bist!« Sie sprang auf, gestikulierte mit einem Arm wild herum, während sie mit dem anderen die Wolldecke zu halten versuchte.
    Ein wenig von ihrem alten Kampfgeist existierte also doch noch. Für einen Augenblick fühlte Leon sich in die Vergangenheit zurückversetzt. In der Villa seiner Eltern am Stadtrand hatte er endlose Diskussionen mit seiner Schwester geführt. Damals hatte er sie für schwierig gehalten, heute erschien sie ihm zügellos, beinahe unberechenbar.
    »Glaubst du, ich habe es mir ausgesucht, vorgezogen zu werden? Auch ich konnte es Papa nicht recht machen, seine Erwartungen waren immer schwer zu erfüllen.« Die lange unausgesprochenen Worte erzeugten ein Klopfen in Leons Kehle. Sein Vater sprach seit Jahren kaum noch mit ihm, weil er es ihm verübelte, dass er Lilian nicht aufspüren konnte. Schließlich wäre er kein einfacher Streifenpolizist, sondern Kommissar. Als großer Bruder hätte er auf sie aufpassen müssen, hätte sie davon abhalten sollen, die Schule zu schmeißen und ihrem Traum, Künstlerin zu werden, nachzujagen.
    »Wenn du bedauert werden willst, ruf die Seelsorge an, aber lass mich in Ruhe!«
    »Ich werde nicht aufgeben, bevor ich dich davon überzeugt habe, nach Hause zu kommen.« Leon beugte sich vor. »Komm schon, Lily, wenn du in irgendwelchen Schwierigkeiten steckst, werden wir einen Weg finden! Ich werde dir einen Platz in der Entzugsklinik besorgen.«
    »Darauf kannst du lange warten!« Lilian wich seinem Blick aus und wischte sich beiläufig über die Wange.
    Die vertraute Geste berührte Leon. Er versuchte, ihre Hand zu ergreifen, doch sie entzog sich ihm. »Du weißt ja, wo die Tür ist. Ich muss mich jetzt fertig machen.«
    Plötzlich fiel ihm auf, dass ihre harte Fassade brüchig war. Ihre Worte klangen nicht echt. Sie benahm sich wie früher, wenn sie etwas verbergen wollte. Beinahe wäre es ihr gelungen, ihn mit ihren schnippischen Bemerkungen abzulenken. Er ließ sich so leicht von ihr provozieren, doch letztlich kannte er sie lange genug, um ihre Angst wahrzunehmen. Für gewöhnlich fiel es ihr nicht schwer, jeden davon zu überzeugen, eine Wildwasserkanufahrt wäre nichts weiter als ein langweiliger Familienausflug. Und wenn sie beschlossen hatte, auf den Strich zu gehen, würde sie nicht nur sich selbst davon überzeugen, dass es sich um den besten Job der Welt handelte. Nicht ganz. In Wahrheit duldete sie einfach keinen Widerspruch, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Notfalls legte sie einen jähzornigen Ausbruch hin, der jede Gegenwehr im Keim erstickte. Betretenes Schweigen konnte sie dann als Zustimmung deuten. Sie konnte nicht anders. Selbst jetzt, während sie wie ein Häufchen Elend unter ihrer Decke kauerte, fiel sie in ihr altes Verhaltensmuster zurück und versuchte, mit Leon zu konkurrieren. Um die Gunst der Eltern, den Anspruch, das Leben zu verstehen, oder was auch immer Lilian dazu treiben mochte. Eingelassen hatte Leon sich nie darauf und würde es auch jetzt nicht tun.
    Sein Instinkt warnte ihn. Er liebte Lilian, aber er konnte ihr nicht trauen. Hier war nichts in Ordnung, ganz und gar nicht. Unwillkürlich warf er einen Blick zu dem dürren Tätowierten. Aus seiner Sicht war das Furchterregendste an ihm sein Tattoo, obwohl … gegenüber einer eingeschüchterten Frau konnte sich so mancher Versager aufspielen. Ein bitterer Geschmack machte sich in Leons Mund breit.
    Lilian war dabei, hastig in einen Jogginganzug zu schlüpfen. Die Taillenbänder hingen ihr bis auf die Oberschenkel, so eng musste sie den Hosenbund zuziehen. Leon stand auf und wandte sich zur Tür. Nicht aus Anstand, sondern weil er den Zustand ihres Körpers nicht ertragen konnte. Der Typ in der Tür regte sich, machte Anstalten, Leon hinauszugeleiten, während Lilian ihn auffordernd ansah. Sie war nicht nur

Weitere Kostenlose Bücher