Die Totenmaske
des kriminologisch-gerichtsmedizinischen Instituts und vertraut mit der Lenzschen Arbeitsweise.
War die Arbeit des Gerichtsmediziners beendet gewesen, hatte der Bestatter übernommen, bei dem es sich genau genommen um Zoes Großvater gehandelt hatte. Doch ihr Vater war ihm gern zur Hand gegangen und hatte sowohl die Ausarbeitung von Proben als auch das Erstellen von Berichten meistens am Folgetag in der gerichtsmedizinischen Abteilung erledigt.
Durch dieses ungewöhnliche Arrangement war mit der Zeit das Equipment in Zoes Behandlungsraum weit über die Bedürfnisse einer hygienischen Leichenversorgung hinausgewachsen und entsprach einem voll ausgerüsteten Labor. Nach dem Tod ihres Vaters hatte Peter Zoe regelmäßig eingeladen, um in der Gerichtsmedizin bei Obduktionen zu assistieren, weil er davon überzeugt war, dass sie eines Tages eine Möglichkeit finden würde, ihrer Bestimmung zu folgen. Es wäre ein Jammer, wenn ihre Begabung ungenutzt bleiben würde, pflegte er zu sagen. Bis dahin wollte er ihr dabei helfen, möglichst viel zu lernen.
Am Telefon hatte er ihr mitgeteilt, dass er später vorbeikommen wollte, um Zoe bei der Arbeit über die Schultern zu schauen. Über ihren Behandlungsvorschlag hatte er sich beeindruckt gezeigt, was Zoe mit einem gewissen Stolz erfüllte. Sie wussten beide, dass Zoe keine Unterstützung benötigte, um die Bronchoskopie vorzunehmen. Die Anwesenheit eines Kriminologen war reine Formsache. Deshalb rechnete sie auch nicht damit, dass er bald kam. Vermutlich würde er morgen auf dem Weg zur Arbeit vorbeikommen, um die Gewebeprobe an sich zu nehmen, damit alles mit rechten Dingen vonstattenging.
Zoe begutachtete das übertragene Bild auf dem Monitor neben ihr. Es entsprach exakt der Realität. Die Arbeit mit dem Endoskop war eine bequeme Variante, und die Bronchoskopie einer Leiche setzte keine besondere medizinische Ausbildung voraus. Eine Anästhesie fiel naturgemäß weg, und das Augenmerk war nicht darauf gerichtet, Verletzungen zu vermeiden, die dem Patienten später Schmerzen verursachen konnten.
Zoes Motive waren gänzlich andere. Auf ihrem Behandlungstisch landeten Tote, was eine völlig andere Arbeitsweise voraussetzte. Es ging nicht darum, Leben zu erhalten wie bei den Medizinern, sondern lediglich um die möglichst ansehnliche Gestaltung der sterblichen Hülle – zumindest für eine Weile. Dennoch bemühte sie sich, nicht versehentlich das nachgiebig gewordene Gewebe der Trachea zu beschädigen. Wenn Blutreste oder Fäulnisflüssigkeit in die Lungen gelangten, würde dadurch das Ergebnis der Gewebeprobe beeinträchtigt oder sogar eine Entnahme unmöglich gemacht. Das Organ war ohnehin schon in sich zusammengefallen wie ein leerer Heißluftballon.
Auf dem Monitor verfolgte sie den Weg der winzigen Kamera an der fernsteuerbaren Gerätespitze durch den düsteren Tunnel von grauschwarzen Gewebewänden. An der unteren Seite hatte sich bräunlicher Schleim abgelagert. Ein bisschen beneidete Zoe die Ärzte um ihren Blick in die Luftröhre eines lebendigen Menschen. Ihnen bot sich für gewöhnlich der angenehmere Anblick gut durchbluteter rosiger Außenwände mit geringer Ablagerung von eher weißlichem Schleim. Nun, man konnte nicht alles haben, und faszinierend waren auch Zoes Einblicke. In mühsamen Schritten ließ Zoe das Endoskop sich weiterschlängeln.
Ihre Gedanken schweiften ab. Der Mittag im Café hatte sie auf unerwartete Weise durcheinandergebracht. Immer wenn sie an den jungen Ermittler dachte, durchfuhr sie wie ein Blitz eine seltsame unterschwellige Aufregung. Daran war nicht einmal Joshs Erscheinen schuld, auch wenn es zusätzlich dazu beigetragen hatte. Deutlich spürte sie den Drang, sich zu verkleiden und als Loretta für eine Weile dem Alltag zu entfliehen. Zoes Magen zog sich zusammen – ein deutliches Zeichen für ihre zunehmende Unsicherheit. Im Loretta-Kostüm wäre sie ganz anders mit Josh umgesprungen und hätte wahrscheinlich sogar Leon Strater in null Komma nichts um den Finger gewickelt, statt beschämt den Kopf zu senken, als sich ihre Knie unter dem Tisch berührten. Ob Polizist oder nicht: Verkleidet hätte es für Zoe keinen Unterschied gemacht, wenn ein attraktiver Mann vor ihr auftauchte. Der Druck in ihrem Magen wandelte sich in ein rebellisches Glimmen. Widerstand war zwecklos.
Ein Vibrieren am Haltegriff riss Zoe aus ihren Gedanken. Das Endoskop steckte fest. Sofort hielt sie mit der Schiebebewegung inne und sog scharf den Atem
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