Die Totenmaske
erwartungsfrohen Ankömmlingen in einer nicht enden wollenden Warteschlange zu.
»Entschuldigung!« Leon nickte den zur Musterung angetretenen Gästen zu und drängte sie mit sanftem Nachdruck zur Seite. Die Miene des Türstehers verfinsterte sich. Leon zückte seinen Dienstausweis und hielt ihn Meister Propper unter die Nase.
»Soko Mainz. Reicht das als Eintrittskarte?«
Das Murren hinter ihm erstarb auf der Stelle. Der Türsteher verlor ein gutes Maß Spannung in seinen Schultern, trat unverzüglich zur Seite und öffnete die Tür, um Leon einzulassen. Sprechen gehörte anscheinend tatsächlich nicht zu seinen Stärken.
Das Pydna war der Polizei in Mainz als Drogenumschlagplatz einschlägig bekannt. Dazu kamen zahlreiche Schlägereien und Kleindelikte. Allerdings verhielt es sich mit den meisten Großraumdiskotheken so. Für diesen Abend konnte Leon es sich sparen, nach Dealern Ausschau zu halten. Der freundliche Türsteher dürfte inzwischen per SMS jeden vorgewarnt haben, der ihm bekannt war. Das dürften die meisten aus der Szene sein. Deshalb war Leon auch nicht hier, sondern lediglich, um sich einen Überblick von dem Ort zu verschaffen, an dem die Opfer und möglicherweise auch der Täter verkehrt hatten. Erste bekannte Gesichter von seinen Befragungen waren ihm bereits im Gedränge aufgefallen. Auch schienen ihm einige Kandidaten aus der Täterdatei zu begegnen, die er routinemäßig studierte, wenn er einen neuen Fall annahm.
Von der Theke aus hatte er einen annehmbaren Überblick. Außerdem schien er sich hier in einer Art akustischem Loch zu befinden; die Musik war nicht allzu laut. Er orderte einen Caipirinha und setzte sich auf einen der Barhocker. Der eintönige Techno-Sound wechselte in etwas rhythmischeren House. Nicht ganz Leons Musikrichtung, aber hörbar. Er wippte mit dem Fuß im Takt. Der ganze Raum wurde durch ein kunstvolles Lichtdesign illuminiert, was es nahezu unmöglich machte, einzelne Gesichter aus der Entfernung zu identifizieren. Ein paar Stegbühnen ragten wie Zungen in die Menge hinein, bestückt mit tanzenden Mädchen, von denen eins seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Nicht wegen der pinkfarbenen Perücke, die von einem einzelnen Spotlight in Szene gesetzt wurde, sondern wegen ihrer lasziven Bewegungen. Mit schlängelnden Armen bog sie ihren schmalen Körper und schien dabei einem eigenen Rhythmus zu folgen. Normalerweise interessierte Leon sich nicht für halbnackte Go-go-Girls, die auf irgendwelchen Tischen tanzten. Es sei denn, sie dienten der Ermittlung in einem bestimmten Fall. Aber irgendetwas hatte diese junge Frau an sich, das ihn auf unerklärliche Weise anzog. Ziemlich irritierend. Ellenlange Beine hatten viele Frauen, auch wenn diese es durchaus mit einem Model aufnehmen konnte.
»Ganz schön scharf die Kleine, was?« Der Barkeeper stellte den Cocktail auf einen Pappdeckel und nickte in Richtung der Tänzerin.
»Sie fällt auf«, stimmte Leon zu.
Der Mann lachte. »Wenn sie tanzt, steigt regelmäßig der Umsatz an dieser Theke. Sie heizt den Burschen ganz schön ein, hat wohl Spaß daran. Gage nimmt sie keine – also, was soll’s?«
»Keine engagierte Tänzerin?« Leon nippte an seinem Glas.
»Nee, die springt einfach auf die Bühne und legt los. Scheint ihr zu gefallen, im Mittelpunkt zu stehen, doch sonst macht sie ein Riesengeheimnis um sich. Nennt sich Loretta …« Der Barkeeper legte einen Zeigefinger an sein Auge, um zu verdeutlichen, dass dies anscheinend nicht ihr richtiger Name war. Er zuckte mit den Achseln. »Wir nennen sie Anonyma, und solange sie keinen Ärger macht, kann sie gern da oben tanzen.«
»Überprüfen Sie nicht die Personalausweise?«, fragte Leon. »Immerhin sieht sie sehr jung aus.«
»Doch, klar«, erwiderte der Barkeeper und straffte die Schultern. »Ist aber schon eine Weile her. Ich habe ihr eine VIP-Karte angeboten und bei der Gelegenheit das Geburtsdatum kontrolliert.«
»Und dabei haben Sie nicht ihren Namen gelesen?«
»Den hat sie mit dem Finger zugehalten, meinte, Foto und Geburtsdaten reichten für unsere Zwecke aus.« Der Barkeeper zeigte sich deutlich amüsiert. »Ziemlich gewitzt, die Kleine, aber volljährig.«
Leon nickte und blickte erneut zur Bühne. Im selben Moment wandte Loretta sich mit einer geschmeidigen Drehung in seine Richtung. Leon widerstand dem albernen Drang, ihr zuzuwinken. Stattdessen starrte er auf den knallrot geschminkten Mund. Das Gefühl eines Déjà-vu-Erlebnisses wurde für den
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