Die Totenmaske
trank er gerne mal ein Bier. Doch diese Großraumdiskotheken waren ihm ein Greuel. Es gelang ihm nicht immer, einfach abzuschalten, wenn um ihn herum ständig Drogenbriefchen weitergereicht wurden und an die Ereignisse in Mainz erinnerten. Es fiel ihm ohnehin schwer, die beiden Fälle voneinander zu trennen. Das würde noch eine Weile dauern, bis er genügend Abstand gewonnen hatte.
Mittlerweile hatte sich herausgestellt, dass Sören Hellmann Anführer einer organisierten Mädchenhändlerbande war, deren Nebeneinkünfte aus Drogengeschäften kamen. Es wäre nicht verwunderlich gewesen, wenn sich die kriminellen Aktivitäten bis in den Hunsrück zögen. Allerdings blieb Leon keine Wahl, denn Willis Auflage war eindeutig und weit entfernt von einer freundschaftlichen Bitte. Über Lilian hatte er Leon nur widerwillig Auskunft gegeben. Sie war auf der Flucht mit dem Tätowierten namens Ulf geschnappt worden. Ihre Aussage wurde von der des Opfers bestätigt, was Leon zunächst erleichterte, für etwa eine Sekunde. So lange hatte es gedauert, bis die andere Seite der Medaille wie ein Spukbild vor seinem inneren Auge aufgetaucht war.
Lilian hatte anscheinend mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln versucht, Svenja zu schützen, indem sie doppelt so viele Freier bedient hatte. Um Hellmanns Aufmerksamkeit von der jungen Ukrainerin abzulenken und ihn damit vermeintlich friedlich zu stimmen. Laut Zeugenaussagen ein Ding der Unmöglichkeit. Hellmann galt in Insiderkreisen als Pitbull im Schafspelz. Nur unter Drogen konnte Lilian der extremen körperlichen Belastung standhalten. Svenja hatte mehrfach versucht, zu fliehen. Jedes Mal war sie aufgegriffen worden. Am Anfang hagelte es nur Schläge, um sie gefügig zu machen. Dann folgte eine Reihe unaussprechlicher Gewalttaten, von denen Leon beim bloßen Lesen des Berichts schlecht geworden war.
Lilian hatte während dieser düsteren Zeit erfolglos nach einer Möglichkeit gesucht, Leon zu kontaktieren. Der Gedanke daran zerriss ihm beinahe das Herz. Inzwischen befand seine Schwester sich im Rahmen eines Zeugenschutzprogramms an einem Ort, den Willi ihm nicht nennen durfte. Von ihren Eltern hatte Lilian sich verabschiedet, bevor sie unter staatlicher Aufsicht abgetaucht war. Sie meinte, ihnen könnte sie eher unter die Augen treten als Leon. Warum auch immer, Leon musste diese Entscheidung akzeptieren. Irgendwann würde Lilian bereit sein, ihn zu sehen. Irgendwann. Je nach Gefährdungsstufe konnte es vorkommen, dass Zeugen über Jahre geschützt werden mussten. Manchmal ein Leben lang.
Svenjas Wunden verheilten, ihre Seele hingegen kaum. Sie wollte nach ihrer Genesung in ihre Heimat zurückkehren. Besser ein Leben in Armut als das, was sie durchgemacht hatte.
Willi und seine Kollegen arbeiteten fieberhaft an dem Fall und würden früher oder später diesen Verbrecherring ausheben. Davon war Leon überzeugt. Er konnte sich also getrost seiner Aufgabe hier im Hunsrück widmen. Darauf musste er sich konzentrieren. Klar, nichts einfacher als das! Wenn dieser Fall gelöst war, konnte er immer noch in seinem Dezernat dazustoßen – sofern sein Chef der Meinung war, er wäre so weit.
Eigentlich war er ja froh, sich wieder mit seinem Fall beschäftigen zu können. Der Hunsrück kam ihm beinahe idyllisch vor. Dafür nahm er gern in Kauf, im Zuge seiner Ermittlungen wieder einmal eine dieser Hochburgen aufsuchen zu müssen. Inzwischen häuften sich im gesammelten Material aus Aussagen oder solchen, die nur entfernt damit zu tun hatten, die Hinweise auf das Pydna in Kastellaun. Scheinbar verkehrte dort jeder Hunsrücker zwischen achtzehn und dreißig Jahren, neben den zahlreichen Besuchern von außerhalb. Zwar mochten die drei Opfer allgemein als unzertrennliches Trio bekannt gewesen sein, doch scharte sich anscheinend ein ganzes soziales Netzwerk aus feierwütigem Volk um Boris und seine Kumpel.
Der grobschlächtige Türsteher mit Boxernase fixierte Leon mit einem abschätzenden Blick. Gleichzeitig winkte er zwei blutjunge Mädels mit einem gönnerhaften Nicken durch, das in keinster Weise einer ordnungsgemäßen Alterskontrolle entsprach. Danach heftete er seinen Blick auf Leons Sneakers und schüttelte den Kopf. Scheinbar die pantomimische Variation für: Du kommst hier nicht rein. Ob der Kerl nicht reden konnte oder es schlicht nicht für nötig hielt, sollte wohl sein Geheimnis bleiben. Ohne sich weiter um Leon zu kümmern, wendete er sich bereits den nächsten
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