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Die Totenmaske

Die Totenmaske

Titel: Die Totenmaske Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Henke
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erreichen, Herr Kommissar«, antwortete der Beamte pflichtbewusst.
    »Dann hätten Sie mit dem Einsatz warten können, bis Sie mich erreichen!«
    Das Gesicht des Polizisten wurde lang. »Entschuldigen Sie, doch wir hatten den Befehl, den Jungen unverzüglich in Gewahrsam zu nehmen, und diesen befolgt.«
    Leons Blick fiel auf eine Gruppe Fünftklässler, die ängstlich zurückwichen, als zwei weitere Streifenpolizisten aus dem Schulgebäude traten und ihre Schusswaffen in ihre Holster zurücksteckten.
    Leon schnaubte. »Das haben Sie in der Tat! Und jetzt ziehen Sie auf der Stelle Ihre Männer ab! Sie machen noch die ganzen Leute hier verrückt!«
    »Aber was ist mit dem Flüchtigen?«
    »Darum werde ich mich kümmern. Solange Sie nichts von mir hören, werden Sie keine weiteren Schritte unternehmen!«
    Der Polizist tippte an den Schirm seiner Mütze und wollte sich zum Gehen abwenden.
    »Warten Sie!«, rief Leon, dem gerade ein Gedanke durch den Kopf schoss. »Auf wessen Veranlassung hin wurde der Amtsvorgang beschleunigt?«
    »Stadtrat Nauen hat veranlasst, dass mehrere Jugendliche als Zeugen vorgeladen werden, die seiner Meinung nach mit seinem verstorbenen Sohn in Kontakt standen. Einflussreiche Persönlichkeit.« Der Polizist unterdrückte noch im letzten Moment ein Augenrollen.
    Leon konnte sich nur mit Mühe ein zorniges Schnaufen verkneifen. Grundsätzlich war nichts dagegen einzuwenden, wenn schleppend voranlaufende Amtshandlungen durch Beziehungen beschleunigt wurden. Doch manchmal wurden die polizeilichen Ermittlungen dadurch gestört, und leider geschah es selten ohne persönliches Interesse. Leon hatte schon einige Fälle erlebt, in denen ein wenig Druck von oben von Vorteil gewesen wäre. Doch das hier ging entschieden zu weit. Nur weil ein übereifriger Stadtrat glaubte, seine Beziehungen dahingehend ausnutzen und dafür sorgen zu müssen, dass ein Schüler mit Blaulicht wie ein Schwerverbrecher von der Schule geholt wurde! Wohin sollte solch ein Wahnsinn denn führen? Es erschien ihm seltsam, dass Herr Nauen sich überhaupt einmischte. Vermutlich steckte dahinter weniger Gerechtigkeitssinn, sondern ein vermeintlich persönliches Interesse.
    Eine Weile beobachtete Leon, wie die Streifenwagen abzogen. Er war es nicht gewöhnt, seine Befehle so eindringlich vorzubringen. Die Streifenbeamten erfüllten ihre Aufgabe, mehr nicht. Doch manchmal erforderten die Umstände, dass man energisch eingriff, um die Rangordnung zu verdeutlichen. Letztlich trug Leon die Verantwortung für diesen Fall. Ein derart überstürzter Einsatz entsprach nicht seiner bevorzugten Vorgehensweise.
    »Kommt Josh jetzt in den Knast?«
    Leon fuhr herum. Eine Gruppe Schüler stand abseits am Zaun – dem Alter nach möglicherweise Joshs Klassenkameraden.
    »Wieso sollte er?«
    »Na, weil er den Boris umgebracht hat«, antwortete der Rädelsführer der Gruppe.
    Stimmbruchlädierte Lacher kamen von den anderen Jungen. »Voll krasse Aktion, echt der Hammer!«
    »Sagt wer?« Leon trat einen Schritt näher.
    Der Junge wich keinen Zentimeter zurück. Ein deutlicher Unterschied zu den eher zurückhaltend wirkenden Fünftklässlern.
    »Mein Vater und seine Kollegen«, erwiderte der Junge trotzig, was ihm erneut ein paar bewundernde Zurufe seiner Kameraden einbrachte. »Paps meint auch, im Jugendknast würden sie ihm schon Manieren beibringen.«
    Da kannte sich wohl jemand aus.
    »Boris war ein totaler Widerling, aber Josh hat ihn ganz sicher nicht umgebracht. Dazu ist er viel zu schlau«, mischte ein sommersprossiges Mädchen mit geflochtenen Zöpfen sich ein.
    »Das glaubst auch nur du, Streberin! Kümmre dich um deinen Häkelkurs, und zieh Leine!«
    Allgemeines Gelächter – mit Ausnahme des Mädchens und ihrer Freundinnen, die sich ebenfalls genähert hatten.
    »Macht sofort, dass ihr in eure Klasse kommt!« Der Mann im grauen Anzug fuchtelte wütend mit dem Arm herum, während er über den Schulhof schritt.
    Die meisten Schüler sputeten sich sofort, während drei der Gruppenanführer sich provokant langsam davonbewegten. Nachdem die Gruppe außer Hörweite war, wandte der Direktor sich mit einer eher pflichtbewussten Rüge, man könne nicht einfach seine Schüler verhören, an Leon. Ihm war seine Verwirrung deutlich anzusehen, als er ihn über Joshs Flucht durch die Hintertür der Schule informierte. Zufällig hätte er auf dem Gang mitbekommen, wie zwei Polizisten nach Josh fragten. Er könnte überhaupt nicht nachvollziehen, wie sein

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