Die Totgesagten
»Eigentlich wollte ich ja mit euch anstoßen, aber manche von euch scheinen großen Durst zu haben! Zum Wohl!« Er hob das Glas noch ein wenig höher, bekam aber nur ein undeutliches Gemurmel als Antwort. Schließlich nippte er an seinem Dry Martini.
»Kann ich noch einen haben?« Uffe hielt Viveca sein Glas hin. Sie warf Erling einen fragenden Blick zu, und er nickte. Die jungen Leute sollten sich doch amüsieren.
Als es auf den Nachtisch zuging, stellte sich bei Erling W. Larson eine gewisse Reue ein. Er konnte sich zwar vage erinnern, dass Fredrik Rehn ihm geraten hatte, nicht zu viel Alkohol auszuschenken, aber dummerweise hatte er die Warnung ignoriert. Er hatte geglaubt, nichts könnte schlimmer werden als diese Geschichte von 1998. Damals war er mit der gesamten Führungsetage auf Geschäftsreise nach Moskau gefahren. Seine Erinnerungen waren zwar ein wenig verschwommen, aber einige Bilder sah er noch genau vor sich, und die hatten mit Kaviar, Wodka undeinem Bordell zu tun. Doch Saufgelage im Ausland waren nicht zu vergleichen mit fünf sternhagelvollen Jugendlichen im eigenen Haus. Das Essen war eine Katastrophe gewesen. Den Kaviartoast hatte kaum jemand angerührt, und der Risotto mit Jakobsmuscheln hatte vor allem diesen Barbaren Uffe zu Würgelauten animiert. Der Höhepunkt des Abends waren die Kotzgeräusche aus der Gästetoilette. In Anbetracht der Tatsache, dass die Jugendlichen die Mousse au Chocolat immerhin probiert hatten, dachte Erling mit Grausen an seine empfindlichen Natursteinfliesen.
»Ich habe noch Wein gefunden, Erling Perling«, lallte Uffe. Er kam aus der Küche und hielt triumphierend eine Flasche in die Höhe. Erling rutschte das Herz in die Hose, als er Uffe einen seiner besten und teuersten Jahrgangsweine entkorken sah. Unbändige Wut stieg in ihm auf, aber er riss sich zusammen, als er bemerkte, dass die Kamera ihn heranzoomte, in der Hoffnung, ihn die Beherrschung verlieren zu sehen.
»So ein Glück«, sagte er mit verbissenem Grinsen. Dann warf er Fredrik Rehn einen hilfesuchenden Blick zu. Doch der Produzent schien der Ansicht zu sein, dass der Bürgermeister an seinem Elend selbst schuld war, und hielt Uffe sein leeres Weinglas hin.
»Für mich auch, bitte.« Viveca, die den ganzen Abend stumm dabeigesessen hatten, sah ihren Mann trotzig an. Erling kochte vor Wut. Das war Meuterei! Dann grinste er in die Kamera.
Nur noch wenige Tage bis zur Hochzeit. Erica wurde langsam nervös, aber die praktischen Dinge waren alle geregelt. Anna und sie hatten geschuftet wie die Tiere. Blumen, Tischkarten, Übernachtungsmöglichkeiten für die Gäste, Musik und so weiter und so fort. Besorgt betrachtete Erica, wie Patrik lustlos auf seinem Brot herumkaute. Sie hatte ihm sein Lieblingsfrühstück gemacht, heißen Ka kaound Knäckebrot mit Käse und Kaviarpaste, obwohl sich ihr schon beim Anblick der Magen umdrehte. Mittlerweile hätte sie fast alles getan, damit er etwas aß. Immerhin würde er problemlos in seinen Frack passen, dachte sie.
In den letzten Tagen war Patrik nur noch ein Schatten seiner selbst gewesen. Er kam nach Hause und fiel nach dem Essen sofort ins Bett. Am nächsten Morgen fuhr er wieder zur Arbeit. Müdigkeit und Frust hatten deutliche Spuren hinterlassen, er sah abgekämpft und aschfahl aus. Erica meinte auch eine gewisse Resignation in seinen Gesichtszügen zu erkennen. Vor einer Woche hatte er ihr erzählt, dass es ein weiteres Mordopfer geben musste. Die Kollegen hatten eine erneute Anfrage an alle Polizeibezirke des Landes geschickt, aber ohne Erfolg. Immer wieder waren sie das gesamte Beweismaterial durchgegangen. Gösta hatte mit Rasmus’ Mutter telefoniert, doch auch ihr sagten die Namen Elsa Forsell und Börje Knudsen nichts. Die Ermittlungen steckten in einer Sackgasse.
»Was steht heute auf dem Plan?«, fragte Erica und versuchte, möglichst neutral zu klingen.
Patrik knabberte an seinem Knäckebrot. In der vergangenen Viertelstunde hatte er kaum die Hälfte hinunterbekommen. »Auf ein Wunder warten.«
»Könntet ihr euch nicht Hilfe von außen holen? Was ist mit den anderen betroffenen Polizeibezirken? Oder der Reichspolizei?«
»Lund, Nyköping und Borås habe ich schon kontaktiert, die sind auch an der Sache dran. Und die Reichspolizei … Ich hatte eigentlich gehofft, dass wir es alleine schaffen, aber allmählich sieht es doch so aus, als könnten wir Verstärkung brauchen.« Gedankenverloren nahm er einen winzigen Bissen. Erica strich ihm
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