Die Totgesagten
geknutscht habt. Wie ihr immer Marits Sachen von einem Zimmer ins andere geschleppt habt. Weißt du eigentlich, wie bescheuert das war?«
»Doch, das weiß ich sehr gut. Aber Marit wollte es so.« Kerstin wurde plötzlich ernst. Der Wasserkocher schaltete sich klickend aus. Dankbar für die Ablenkung stand Kerstin auf und wendete Sofie den Rücken zu. Sie nahm zwei Tassen aus dem Schrank und goss das heiße Wasser auf die Tee-Eier.
»Man muss das Wasser erst ein bisschen abkühlen lassen«, witzelte Sofie. Kerstin fing erneut an zu lachen. »Daran musste ich auch gerade denken. Deine Mutter hat uns gut dressiert.«
Sofie lächelte. »Ja, das hat sie. Obwohl sie mich bestimmt gern noch besser dressiert hätte.« In ihrem traurigen Lächeln lagen all die Versprechen, die sie nun nicht mehr würde halten können. All die Erwartungen, die sie niemals würde erfüllen können.
»Marit war so stolz auf dich!« Kerstin setzte sich und schob Sofie eine Teetasse hinüber. »Du hättest hören sol len,wie sie immer von dir geschwärmt hat. Selbst wenn ihr euch furchtbar gestritten hattet, konnte sie plötzlich sagen: ›Dieses Mädchen ist so verdammt helle.‹«
»Hat sie das gesagt? Ehrlich? War sie wirklich stolz auf mich? Aber ich war doch immer so anstrengend!«
»Na und? Marit wusste, dass du nur deinen Job gemacht hast. Es war doch deine Aufgabe, dich von ihr zu lösen. Und …« Sie zögerte. »Angesichts all der Dinge, die zwischen ihr und Ola vorgefallen waren, legte sie besonderen Wert darauf, dass du selbständig wirst.« Kerstin verbrannte sich die Zunge. Der Tee musste noch abkühlen. »Sie hat sich große Sorgen um dich gemacht. Sie dachte, die Scheidung und alles, was damit zusammenhing, könnte dir irgendwie geschadet haben. Am meisten Angst hatte sie, dass du es nicht verstehen würdest. Warum sie sich befreien musste. Sie hat es nicht nur für sich selbst getan, sondern auch für dich.«
»Früher konnte ich es nicht verstehen, aber als ich etwas älter wurde, habe ich es kapiert.«
»Du meinst, seitdem du ganze fünfzehn Jahre alt bist?«, stichelte Kerstin liebevoll. »Bekommt man mit fünfzehn ein Handbuch, in dem alles steht – die Antworten auf alle Fragen, alles, was man über das Leben, die Unendlichkeit und die Ewigkeit wissen muss? Dürfte ich mir das wohl mal ausleihen?«
»Quatsch«, lachte Sofie. »So habe ich es nicht gemeint. Ich wollte nur sagen, dass ich meine Eltern jetzt ein bisschen mehr als Menschen sehe und nicht nur als Mama und Papa. Papas Mädchen bin ich wahrscheinlich auch nicht mehr«, fügte sie traurig hinzu.
Einen Augenblick überlegte Kerstin, ob sie Sofie von all dem erzählen sollte, was sie von ihr ferngehalten hatten. Aber sie ließ den Augenblick ungenutzt verstreichen.
Stattdessen tranken sie Tee und redeten über Marit. Lachten und weinten. Aber vor allem sprachen sie über die Frau, die sie beide geliebt hatten. Jede auf ihre Weise.
»Hey,Mädels, was darf es heute sein? Ein leckeres Uffe-Baguette vielleicht?«
Die Mädchen, die sich in einer großen Traube vor der Bäckerei versammelt hatten, kicherten verzückt. Die Bemerkung hatte die gewünschte Wirkung erzielt. Uffe fühlte sich ermuntert, sich noch mehr zu produzieren und weitere Kunststücke mit seinem Baguette vorzuführen. Als er sich das Brot an den Hosenstall hielt und das Becken ruckartig vor-und zurückbewegte, ging das Kichern in hysterisches Kreischen über, was Uffe dazu anstachelte, sich dem Grüppchen zu nähern.
Mehmet seufzte. Uffe war so eine Nervensäge. Und als Arbeitskollege definitiv eine Niete. Am Arbeitsplatz selbst war allerdings nichts auszusetzen. Mehmet, ein leidenschaftlicher Hobbykoch, freute sich, etwas übers Backen zu lernen. Allerdings hatte er keine Ahnung, wie er Uffe ganze fünf Wochen ertragen sollte.
»Mensch, Mehmet, warum machst du nicht mit? Die Mädels sind bestimmt scharf auf echte Kanakenbaguettes.«
»Hör auf.« Mehmet ließ sich nicht von der Arbeit ablenken. Fein säuberlich legte er die Marzipanröllchen neben die Schoko-Mandel-Makronen.
»Du bist doch sonst so ein Frauenversteher. Diese Dorfmiezen haben bestimmt noch nie einen Kanaken gesehen. Oder, Mädels? Habt ihr schon mal einen Kanaken gesehen?« Uffe holte zu einer theatralischen Geste aus, mit der er Mehmet wie auf einer Bühne präsentierte.
Allmählich wurde Mehmet richtig sauer. Ohne hinzusehen, spürte er, wie die Kameras an der Decke auf ihn zoomten. Sie lechzten nach seiner Reaktion.
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