Die Totgesagten
Jede Nuance davon würde direkt in die Wohnzimmer der Leute gesendet werden. Keine Reaktion, keine Gefühlsregung, das hieß: keine Zuschauer. Eigentlich beherrschte er das Spiel, schließlich hatte er es bei der Farm bis ins Finale geschafft. Trotzdem hatte er es anscheinend vergessen oder ver drängt.Wie hätte er sich sonst ein zweites Mal auf diesen Mist einlassen können? Im Grunde war ihm klar, dass es eine Flucht war. Fünf Wochen würde er in einem geschützten Raum verbringen, in einer Art Werkstatt. Einer Zeitblase. Ohne Verantwortung. Hier erwartete man nichts von ihm. Außer dass er existierte und reagierte. Kein beschissener Job, in dem er sich angeödet abrackerte, um die Miete für eine beschissene Wohnung zu bezahlen. Kein Alltag, der seine Zeit fraß, ohne dass etwas Außergewöhnliches in seinem Leben passierte. Keine enttäuschten Gesichter, weil er die Erwartungen nicht erfüllte. Vor allem vor den enttäuschten Blicken seiner Eltern war er geflüchtet. Sie hatten so große Hoffnungen in ihn gesetzt. Ausbildung, Ausbildung, Ausbildung. Dieses Mantra hatte er während seiner gesamten Jugend zu hören bekommen. »Mehmet, du brauchst eine gute Ausbildung. Du musst deine Chancen in diesem tollen Land nutzen. In Schweden kann jeder studieren. Du musst studieren.« Das hatte ihm sein Vater von klein auf eingebläut. Er hatte es auch wirklich versucht. Aber er war nicht fürs Lernen geschaffen. Die Buchstaben und Zahlen blieben bei ihm nicht hängen. Aber Arzt sollte er werden. Oder Ingenieur. Wenigstens Betriebswirt. Davon gingen seine Eltern aus. In Schweden hatte er schließlich die Möglichkeit. Im Grunde hatten sich ihre Hoffnungen erfüllt, denn seine vier älteren Schwestern deckten alle drei Bereiche ab: Zwei waren Ärztinnen, eine war Ingenieurin und eine Betriebswirtin. Nur er, der Jüngste, hatte sich als schwarzes Schaf erwiesen. Und weder Die Farm noch Raus aus Tanum hatten ihm in der Familie Pluspunkte verschafft. Das hatte er auch gar nicht erwartet. Sich vor laufender Kamera die Kante zu geben war wirklich keine Alternative zu einem medizinischen Beruf.
»Zeig dein Kanakenbaguette, zeig dein Kanakenbaguette!« Uffe versuchte sein kicherndes Publikum zum Mitgrölen zu animieren. Mehmet kochte vor Wut.
»Hörendlich auf.« Aus den hinteren Räumen der Bäckerei kam Simon mit einem Blech frischgebackener Zimtschnecken. Uffe sah ihn trotzig an und überlegte, ob er gehorchen sollte oder nicht. Simon hielt ihm das Blech hin. »Bring den Mädchen lieber was Süßes.«
Zögernd nahm Uffe das Blech in die Hand. Am Zucken seiner Mundwinkel war zu erkennen, dass er den Umgang mit heißen Backblechen nicht gewohnt war, doch nun blieb ihm nichts anderes übrig, als die Zähne zusammenzubeißen und den Mädchen die Zimtschnecken zu servieren.
»Ihr habt es gehört, Uffe gibt einen aus! Krieg ich zum Dank ein Küsschen?«
Simon verdrehte die Augen, und Mehmet lächelte dankbar zurück. Mit Simon, dem Besitzer der Bäckerei, hatte er sich vom ersten Arbeitstag an gut verstanden. Simon war ein ganz besonderer Mensch. Sie brauchten sich nur anzusehen, um zu wissen, was der andere dachte. Ein Wahnsinnsgefühl.
Nachdenklich schaute Mehmet seinem Chef hinterher, als er sich wieder zu seinen Kuchenteigen und Torten zurückzog.
Das jungfräuliche Grün an dem Zweig vor seinem Fenster weckte eine schmerzhafte Sehnsucht in Gösta. Jede Knospe verhieß achtzehn Löcher und eine Dicke Bertha. Bald würde ihn nichts mehr von seinen Schlägern trennen.
»Na, bist du übers fünfzehnte Loch hinausgekommen?« Schuldbewusst schloss Gösta das Spiel, als er die Frauenstimme an der Tür hörte. Mist, normalerweise ließ er sich nicht erwischen. Beim Spielen spitzte er ständig die Ohren, was sich leider nicht positiv auf seine Konzentration auswirkte.
»Ich habe nur eine kleine Pause gemacht«, stammelte er verlegen. Er wusste, dass ihm seine Kollegen mittlerweile sowieso keine allzu großen Leistungen mehr zutrauten, aberer mochte Hanna und wollte wenigstens für kurze Zeit ihr Vertrauen gewinnen.
»Keine Sorge.« Lächelnd setzte sich Hanna neben ihn. »Ich liebe dieses PC -Spiel, genau wie mein Mann Lars. Manchmal prügeln wir uns um den Platz vorm Computer. Aber das fünfte Loch hat es in sich. Hast du das schon geknackt? Wenn du willst, zeige ich dir den Trick. Ich habe Stunden gebraucht, um darauf zu kommen.« Ohne seine Antwort abzuwarten, rückte sie ihren Stuhl näher heran. Erstaunt öffnete Gösta
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