Die Totgesagten
verblüfft. »Ericas Dan?«
»Entschuldige mal, was heißt hier ›Ericas Dan‹? Mittlerweile ist er unser Dan, wenn ich bitten darf.«
»Na gut«, lachte Martin. »Euer Dan. Aber was hat er damit zu tun?«
»Letzten Montag kam Erica auf die Idee, er könnte vorbeikommen und sich mal mit Anna unterhalten. Und es hat prompt funktioniert. Sie haben einen langen Spaziergang gemacht und geredet. Es war genau das Richtige für Anna. Sie ist ein vollkommen neuer Mensch. Die Kinder sind selig.«
»Wie schön«, sagte Martin warmherzig.
»Allerdings.« Patrik klopfte mit der flachen Hand gegen den Türrahmen. »Ich gehe jetzt zu Mellberg und bringe es hinter mich. Danach reden wir weiter.«
»Okay.« Martin widmete sich widerwillig seinen Berichten. Auch so ein Teil seiner Arbeit, um den er liebend gern herumgekommen wäre.
Die letzten Tage waren unendlich schleppend vergangen. Es schien, als wolle der Freitag, und mit ihm die Verabredung zum Essen, niemals kommen. Er fühlte sich wie ein jungerMann vor seinem ersten Rendezvous. Und das in seinem Alter! Als er Rose-Marie anrief, hatte er sich eigentlich keinen Schlachtplan zurechtgelegt. Zu seiner eigenen Überraschung hörte er sich ein Abendessen im Restaurant Gestgifveri vorschlagen. Seine Brieftasche würde noch viel überraschter sein. Mellberg wusste gar nicht, was mit ihm los war. Es war überhaupt nicht seine Art, so ein teures Lokal wie das Gestgifveri in Tanum zu besuchen und dort zu allem Überfluss für zwei zu bezahlen. Erstaunlicherweise kümmerte es ihn wenig. Wenn er ehrlich war, freute er sich sogar darauf, Rose-Marie zu einem richtig leckeren Essen einzuladen und ihr Gesicht im Kerzenschein strahlen zu sehen.
Verwirrt schüttelte Mellberg den Kopf, so dass ihm sein Haarbüschel über das eine Ohr fiel. Er verstand sich selbst nicht mehr. War er krank? Er strich sich die Haare wieder über die Glatze und befühlte seine Stirn, doch die war kühl wie immer. Sorgen machte er sich trotzdem. Ihm war so seltsam zumute. Vielleicht war sein Blutzucker zu niedrig?
Seine Hand war gerade zu den Kokosbällchen in der untersten Schublade gewandert, als es an der Tür klopfte.
»Ja?«, rief er verärgert.
Patrik trat ein. »Verzeihung, stör ich?«
»Nein.« Mellberg unterdrückte ein Seufzen und warf einen letzten schmachtenden Blick auf die unterste Schublade. Er wartete, bis Patrik sich gesetzt hatte. Wie immer betrachtete er den Kommissar mit gemischten Gefühlen. Patrik war zwar fast vierzig, aber in Mellbergs Augen war er noch sehr jung. Für Patrik sprach, dass er in den Mordfällen der vergangenen Jahre sehr besonnen ermittelt und seinem Chef damit viel gute Presse beschert hatte. Gegen ihn sprach, dass er sich Mellberg überlegen zu fühlen schien. Allerdings war das nur eine vage Empfindung, denn im Grunde behandelte ihn Patrik mit dem nötigen Respekt. Solange Hedström seine Arbeit so machte, dass Mellberg in den Zeitungen so gut wegkam, wie er es ver dienthatte, ließ er ihn gewähren. Aber er behielt ihn im Auge.
»Wir haben nun den Obduktionsbericht von dem Verkehrsunfall am Montag.«
»Aha«, gab Mellberg gelangweilt zurück. Autounfälle waren Routine.
»Es scheint einige Unklarheiten zu geben.«
»Unklarheiten?« Mellbergs Interesse war geweckt.
»Ja.« Patrik zeigte auf den Bericht. »Marit weist Verletzungen auf, die nicht auf den Unfall zurückzuführen sind. Außerdem war sie schon vor dem Aufprall tot. Alkoholvergiftung. Sie hatte 6,1 Promille.«
»6,1? Das ist nicht dein Ernst.«
»Leider doch.«
»Und was sind das für Verletzungen?« Mellberg lehnte sich interessiert vor.
Patrik zögerte. »Sie hat Verletzungen im und rund um den Mund.«
»Rund um den Mund?« Mellberg klang skeptisch.
»Ja«, antwortete Patrik defensiv. »Ich weiß, das ist nicht viel. Aber ihre Angehörigen schwören, dass sie nie Alkohol getrunken hat. Das Ganze kommt mir seltsam vor.«
»Seltsam? Du verlangst von mir, dass wir ermitteln, nur weil dir etwas seltsam vorkommt?« Mellberg zog eine Augenbraue hoch. Die Sache gefiel ihm nicht. Patriks Verdacht war zu vage. Andererseits hatte Patrik schon oft richtiggelegen. Sollte er ihn gewähren lassen? Er überlegte eine Weile. Patrik sah ihm gespannt dabei zu.
»Okay«, brummte er schließlich. »Beschäftige dich ein paar Stunden damit. Wenn ihr – ich nehme an, Molin wird dich unterstützen – einen Hinweis findet, dass wirklich etwas nicht stimmt, macht weiter. Falls ihr allerdings nichts
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