Die Totgesagten
wollte heute Morgen auf dem Weg zur Arbeit schon mit ihm reden, aber er war nicht besonders gesprächig. Diesen grübelnden Gesichtsausdruck kenne ich. Irgendetwas Berufliches lässt ihm keine Ruhe. Man muss ihm einfach Zeit lassen, früher oder später redet er.«
»Männer!« Ein Schatten fiel über Annas Gesicht. Erica erahnte ihn im Augenwinkel und spürte sofort, wie sich ihr Magen zusammenzog. Ständig hatte sie Angst, Anna könnte in ihre Apathie zurückfallen und den Funken Lebensfreude verlieren, der gerade erst neu in ihr erwacht war. Doch diesmal gelang es Anna, die Erinnerung an die Hölle loszulassen, durch die sie gegangen war.
»Hat es mit diesem Unfall zu tun?«
»Ich glaube schon.« Erica sah sich gewissenhaft um, bevor sie aus dem Kreisverkehr bei Torp herausfuhr. »Er hatjedenfalls gesagt, dass sie noch einige Unklarheiten untersuchen müssen und dass ihn die Sache an irgendetwas erinnert.«
»Was denn?«, fragte Anna neugierig. »Woran kann einen ein Autounfall erinnern?«
»Keine Ahnung. So hat er es eben gesagt. Er will der Sache heute auf den Grund gehen.«
»Ich nehme an, du hattest noch keine Gelegenheit, ihm die Liste zu zeigen?«
Erica lachte. »Nein, das habe ich bei seiner gedrückten Stimmung nicht über mich gebracht. Ich werde sie ihm in einem günstigen Augenblick am Wochenende unterjubeln.«
»Gut.« Anna, die selbsternannte Hochzeitsplanerin, war vorerst zufrieden. »Was ihn betrifft, ist der Anzug am wichtigsten. Wir können uns heute umschauen und ein paar Sachen raussuchen, aber anprobieren muss er sie selbst.«
»Wegen Patriks Anzug mache ich mir weniger Sorgen«, sagte Erica finster. »Meinst du, der Brautausstatter führt auch Übergrößen?« Sie parkte am Kampenhof und löste ihren Gurt. Anna schnallte sich ebenfalls ab und drehte sich zu Erica.
»Keine Sorge, du wirst fantastisch aussehen. Wir kriegen das schon hin! In sechs Wochen kannst du wahnsinnig abnehmen. Das wird super!«
»Das glaube ich erst, wenn ich es sehe. Mach dich darauf gefasst, dass das Ganze kein Spaß wird.« Sie setzte Maja in den Kinderwagen, schloss das Auto ab und marschierte zielstrebig in Richtung Fußgängerzone. Das Brautmodengeschäft lag in einer der kleinen Seitenstraßen. Sie hatte sich vorher telefonisch versichert, dass es geöffnet war.
Unterwegs sagte Anna kein Wort mehr, doch als sie über die Schwelle traten, drückte sie Ericas Arm, um ihr ein wenig Zuversicht einzuflößen. Sie wollten schließlich ein Brautkleid kaufen!
Im Laden atmete Erica tief durch. Weiß, weiß, weiß.
Tüllund Spitze und Perlen und Pailletten. Eine kleine, stark geschminkte Frau um die sechzig kam auf sie zu.
»Herzlich willkommen«, zwitscherte sie und klatschte entzückt in die Hände. Wahrscheinlich verirren sich selten Kunden hierher, dachte Erica.
Anna trat vor und übernahm das Kommando. »Wir suchen ein Brautkleid für meine Schwester.« Sie zeigte auf Erica, und die kleine Frau klatschte erneut in die Hände.
»Oh, wie schön, wollen Sie heiraten?«
Nö, ich will bloß ein Brautkleid haben. Nur so zum Spaß, dachte Erica angesäuert, verkniff sich aber einen Kommentar.
Anna schien Ericas Gedanken gelesen zu haben, denn sie antwortete rasch. »Die beiden heiraten am Pfingstsamstag.«
»Ach, du meine Güte!«, rief die Frau erschrocken aus. »Dann eilt es aber. Nur noch ein guter Monat, ojemine, da sind Sie aber spät dran!«
Wieder schluckte Erica eine bissige Bemerkung hinunter und spürte Annas beruhigende Hand auf ihrem Arm. Die Frau winkte sie in den hinteren Teil des Ladens, und Erica folgte ihr zögernd. Die ganze Situation kam ihr so … sonderbar vor. Allerdings hatte sie auch noch nie zuvor einen Fuß in ein Geschäft für Brautmoden gesetzt. Als sie sich umsah, schwirrte ihr der Kopf. Wie um alles in der Welt sollte sie in diesem Meer aus wogenden Rüschen ein Kleid finden?
Wieder stand ihre Schwester ihr bei. Sie zeigte auf einen Sessel und forderte Erica auf, es sich bequem zu machen. Maja wurde auf den Boden gesetzt. Dann sagte Anna in gebieterischem Ton: »Vielleicht könnten Sie meiner Schwester einige verschiedene Modelle zeigen. Nicht zu viele Spitzen und Rüschen. Schlicht und klassisch. Aber gerne mit einem kleinen Detail, das etwas hermacht. Nicht wahr?« Fragend blickte sie Erica an, die sich ein Lachen nicht ver kneifenkonnte. Anna kannte sie fast besser als sie sich selbst.
Nun wurde ein Kleid nach dem anderen präsentiert. Hin und wieder schüttelte Erica
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