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Die Totgesagten

Titel: Die Totgesagten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Läckberg
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stehen und gab sich keine Mühe, den genervten Unterton zu unterdrücken, als er den Anruf entgegennahm. »Ja, hier Hedström.« Doch sein Ärger verwandelte sich blitzartig in Fassungslosigkeit.
    »Was sagst du da, Annika? – In einer Mülltonne? – Ist schon jemand unterwegs? Martin? Okay. – Ich fahre sofort los. Es dauert allerdings eine Weile, ich bin im Moment in Uddevalla. Gib mir einfach die genaue Adresse.« Er wühlte in seiner Jackentasche nach einem Kugelschreiber und schrieb sich die Adresse in Ermangelung eines Zettels auf die Handfläche. Dann legte er auf und atmete tief durch. Er freute sich nicht gerade darauf, Erica mitzuteilen, dass sie das Essen ausfallen lassen und direkt nach Hause fahren mussten.

M anchmalmeinte er sich an die andere zu erinnern, die nicht so sanft und so schön gewesen war wie sie. Die mit der kalten und unversöhnlichen Stimme. Scharf und hart wie Glas. Seltsamerweise vermisste er sie manchmal. Doch als er Schwesterchen fragte, ob sie sich auch an sie erinnerte, schüttelte sie den Kopf. Dann klammerte sie sich an die weiche Wolldecke mit den rosa Bärchen. Natürlich erinnerte sie sich, das sah er genau. Irgendwo tief in ihrem Innern, in der Brust, im Kopf, steckte die Erinnerung.
    Einmal fragte er nach dieser Stimme. Wo sie jetzt sei. Wem sie gehört habe. Da regte sie sich furchtbar auf. Es gebe nur sie. Niemand sonst. Immer nur sie. Dann umarmte sie ihn und seine Schwester. Er spürte die seidene Bluse an seiner Wange, der Duft ihres Parfüms drang ihm in die Nase. Eine Strähne des langen blonden Haars seiner Schwester kitzelte ihn am Ohr, aber er wagte nicht, sich zu bewegen. Er wagte den Zauber nicht zu zerstören. Er fragte nie wieder. Ihr Zorn war so ungewohnt und beängstigend, dass er sich nie wieder traute.
    Sonst machte er sie nur böse, wenn er sehen wollte, was sich dort draußen verbarg. Er wollte es nicht sagen, er wusste, dass es keinen Sinn hatte, aber manchmal konnte er sich nicht zurückhalten. Schwesterchen sah ihn jedes Mal angsterfüllt an, wenn er stammelnd seine Bitte vor brachte.Ihre Angst ließ ihn innerlich zusammenschrumpfen, aber die Frage ließ ihn nicht los. Immer wieder kam sie mit Urgewalt hoch.
    Die Reaktion war immer die gleiche. Zuerst die Enttäuschung in ihren Augen. Weil er mehr wollte. Etwas anderes. Dabei gab sie ihnen doch so viel. Alles, was sie brauchten. Zögerlich antwortete sie. Manchmal mit Tränen in den Augen. Das war am schlimmsten. Oft kniete sie vor ihm und nahm sein Gesicht zwischen die Hände. Immer dieselbe Beteuerung: Es sei nur zu ihrem Besten. Ein Unglücksrabe wie er könne da draußen nicht überleben. Es würde nicht gut ausgehen, weder für ihn noch für seine Schwester.
    Wenn sie ging, schloss sie die Tür ab. Er blieb mit seinen Fragen zurück, während seine Schwester sich an ihn schmiegte.

M ehmetbeugte sich über die Bettkante und kotzte. Ihm war vage bewusst, dass das Erbrochene auf dem Boden und nicht in einem Eimer landete, aber deswegen konnte er sich jetzt keinen Kopf machen. Er war einfach zu fertig.
    »Igitt, Mehmet, das ist so ekelhaft.« Wie aus weiter Ferne hörte er Jonnas Stimme und sah unter halbgeschlossenen Lidern, wie sie fluchtartig den Raum verließ. Auch darüber konnte er sich jetzt keine Gedanken machen. Der pochende Schmerz zwischen seinen Schläfen machte ihn handlungsunfähig. Sein Mund war trocken und schmeckte nach einer Mischung aus Alkohol und Kotze. Nur undeutlich konnte er sich an die Geschehnisse des vergangenen Abends erinnern. Er erinnerte sich an die Musik, ans Tanzen, an die knapp bekleideten Mädchen, die sich an ihn gedrückt hatten, aufreizend, hemmungslos, widerlich. Er schloss die Augen, um die verschwommenen Erinnerungen abzuwehren, aber damit verstärkte er sie nur. Erneut stieg Übelkeit in ihm auf, und er lehnte sich über die Bettkante. Nun kam nur noch Galle. Irgendwo hörte er die Kamera summen, wie eine Hummel. Bilder von seiner Familie schossen ihm durch den Kopf. Der Gedanke, dass sie ihn so sehen könnten, steigerte die Übelkeit ins Unermessliche, aber da ließ sich nun nichts machen. Er konnte sich nur noch die Decke über den Kopf ziehen.
    Bruchteilevon Sätzen kamen und gingen. Sie rasten kreuz und quer durch seinen Kopf, aber sobald er versuchte, sie in einen Zusammenhang zu bringen, lösten sie sich in nichts auf. Da war etwas, woran er sich erinnern sollte, was er zu fassen kriegen musste. Vergiftete, böse Worte, die jemand an den Kopf

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