Die Totgesagten
in dieses Projekt investiert.«
Patrik hatte plötzlich das beklemmende und äußerst ungewohnte Gefühl, Mellberg könnte recht haben. Es fiel ihm trotzdem schwer, es zu glauben. So zynisch konnten diese Leute doch nicht sein.
Hanna und Lars saßen schweigend am Frühstückstisch. Sie sahen genauso schlapp aus, wie sie sich fühlten. So viel stand zwischen ihnen, so viel hätte gesagt werden müssen. Aber wie üblich wurde geschwiegen. Hanna spürte die übliche Unruhe im Magen. Das Ei schmeckte nach Pappe. Sie zwang sich, zu kauen und zu schlucken. Zu kauen und zu schlucken.
»Lars«, fing sie an, bereute es aber sofort. Der Name klang so einsam und fremd, wenn er in der Stille ausgesprochen wurde. Sie schluckte und nahm einen neuen Anlauf. »Lars, wir müssen reden. So geht es nicht weiter.«
Er sah sie nicht an, sondern schmierte sich hochkonzentriert ein Butterbrot. Fasziniert beobachtete sie, wie er mit demButtermesser so lange hin- und herstrich, bis die Butter vollkommen gleichmäßig auf der Brotscheibe verteilt war. In seinen Bewegungen lag etwas Hypnotisches, und sie zuckte zusammen, als er fertig war und das Messer wieder ins Butterfass steckte. Sie versuchte es noch einmal.
»Bitte, Lars, sprich mit mir. Ich bitte dich. So können wir nicht weitermachen.« Sie hörte selbst den verzweifelten Klang ihrer Stimme. So flehentlich. Es kam ihr vor, als wäre sie in einem Zug gefangen, der mit rasender Geschwindigkeit auf einen Abgrund zuraste.
Sie wollte ihn an den Schultern packen, ihn schütteln und zwingen, den Mund aufzumachen. Aber sie wusste, dass es keinen Zweck hatte. Er befand sich an einem Ort, zu dem sie keinen Zugang hatte.
Ihr Brustkorb schnürte sich schmerzlich zusammen, während sie ihn betrachtete. Wieder einmal hatte sie aufgegeben und war verstummt. Wie schon so oft. Sie liebte ihn doch so sehr. Alles an ihm. Seine braunen Haare, die vom Schlaf noch ganz durcheinander waren. Die Falten, die zu früh gekommen waren, seinem Gesicht aber Charakter gaben. Die Bartstoppeln, die sich wie Sandpapier anfühlten.
Es musste eine Möglichkeit geben. Sie wusste es. Sie konnte nicht zulassen, dass sie in den dunklen Abgrund rasten, zusammen und doch einsam. Einer Eingebung folgend, griff sie nach seinem Handgelenk. Er zitterte. Wie ein Blatt im Wind. Sie zwang seinen Arm zur Ruhe, indem sie ihn auf die Tischplatte drückte. Sie zwang ihn, ihr in die Augen zu schauen. Dies war einer der Momente, die im Leben nur selten vorkommen. Ein Augenblick, in dem man nur die Wahrheit sagen kann. Die Wahrheit über ihre Ehe. Die Wahrheit über ihr Leben. Die Wahrheit über ihre Vergangenheit. Sie öffnete den Mund. Da klingelte das Telefon. Lars zuckte zusammen und entzog ihr seinen Arm. Dann griff er wieder nach dem Buttermesser. Der Augenblick war vorbei.
»Waspassiert denn jetzt?«, flüsterte Tina. Uffe und sie standen vor dem Heimathof und rauchten.
»Woher soll ich das wissen?« Uffe lachte. »Überhaupt nichts, nehme ich an.«
»Aber nach gestern …« Sie starrte auf ihre Schuhspitzen.
»Gestern hat gar nichts zu bedeuten.« Uffe blies einen weißen Ring in die milde Frühlingsluft. »Glaub mir, das interessiert die einen Scheißdreck. Solche Produktionen kosten irre viel Geld. Die werden den Laden nicht dichtmachen und alles in den Wind schießen, was sie investiert haben. Nie im Leben.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher.« Tinas Miene verfinsterte sich. An ihrer Zigarette hatte sich eine lange Aschesäule gebildet, die nun direkt auf ihre braunen Wildlederstiefel fiel.
»Scheiße!« Hastig bückte sie sich und wischte die Asche ab. »Jetzt sind sie hin. Die waren scheißteuer. Kacke!«
»Geschieht dir recht«, grinste Uffe. »Du bist so tierisch verwöhnt.«
»Was heißt hier verwöhnt?« Sie starrte ihn wütend an. »Nur weil meine Eltern nicht seit Jahrzehnten von Sozialhilfe leben, sondern ihr Geld selbst verdient haben, bin ich noch lange nicht verwöhnt.«
»Über meine Eltern hältst du die Fresse! Du hast keine Ahnung!« Uffe fuchtelte ihr drohend mit der Zigarette vor der Nase herum. Doch Tina ließ sich nicht einschüchtern, sondern machte einen Schritt auf ihn zu.
»Das merkt man dir doch an! Ich kann mir genau vorstellen, was deine Eltern für welche sind.«
Uffe ballte die Fäuste. Auf seiner Stirn pochte eine Ader. Tina dachte an den gestrigen Abend und sah ein, dass sie womöglich einen Fehler gemacht hatte. Eilig machte sie einen Schritt zurück. Sie hätte lieber den
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