Die Totgesagten
menschlichen Aspekt hatte und aus dem man ein spannendes Buch machen konnte. Ihre beiden letzten Bücher hatten nicht nur gute Kritiken bekommen. Manche Rezensenten behaupteten, es zeuge von Pietätlosigkeit, über wirkliche Mordfälle zu schreiben. Das sah Erica anders. Sie ließ immer alle Beteiligten zu Wort kommen und tat ihr Bestes, die Ereignisse so gerecht und differenziert wie möglich darzustellen. Sie glaubte auch nicht, dass die Bücher sich so gut verkauft hätten, wenn sie nicht mit Einfühlungsvermögen und Liebe geschrieben wären. Allerdings war es leichter gewesen, das zweite Buch zu schreiben, bei dem sie keine persönliche Beziehung zu dem Fall hatte. Im Gegensatz zu ihrem Buch über den Mord an Alex Wijkner.
Das Nachdenken über die Bücher weckte ihre Lust zu arbeiten.
»Ich surfe ein bisschen im Internet.« Sie stand auf.
»Vielleichtfinde ich einen neuen Fall, über den ich schreiben kann. Kümmerst du dich um Maja, wenn sie aufwacht?«
Anna lächelte. »Ich nehme Maja, du arbeitest. Viel Glück!«
Erica lachte und ging in ihr Arbeitszimmer. Das Leben zu Hause war in der letzten Zeit so viel leichter geworden. Blieb nur noch zu hoffen, dass auch Patrik bald Licht am Ende des Tunnels sehen würde.
D erDuft von Salz. Kreischende Vögel am Himmel und Blau, so weit das Auge reichte. Die schaukelnden Bewegungen des Bootes. Das Gefühl, dass sich etwas veränderte. Etwas, das immer warm und weich gewesen war, wurde auf einmal hart und scharf. Von den Armen ging ein widerlicher Geruch aus, wenn sie ihn umschlangen. Der Geruch hing in ihren Kleidern und auf der Haut, aber vor allem kam er aus ihrem Mund. Er wusste nicht mehr, wer sie gewesen war. Er wusste auch nicht, warum er sich zu erinnern versuchte. Es war, als hätte er in jener Nacht etwas Unheimliches und doch Vertrautes geträumt. Etwas, worüber er mehr wissen wollte.
Er konnte nicht aufhören, Fragen zu stellen. Er hatte keine Ahnung, warum. Warum konnte er nicht einfach alles hinnehmen, so wie seine Schwester? Er wünschte, er hätte es bleibenlassen können. Aber es ging nicht. Nicht, wenn er sich an den Geruch des Salzwassers und den Wind in seinen Haaren erinnerte. Und an den Mann, der ihn und seine Schwester in die Luft warf. Während die andere, deren weiche Stimme später so hart geworden war, danebenstand und zusah. Manchmal meinte er sich zu erinnern, dass sie gelächelt hatte.
Aber vielleicht war es so, wie sie sagte. Die Frau, die wirklich und schön und lieb war. Es sei ein Traum, be hauptetesie. Ein böser Traum, den sie durch wunderbar süße Träume ersetzen würde. Er widersprach nicht. Doch manchmal ertappte er sich dabei, dass er sich nach dem Salzwasser sehnte. Und den kreischenden Vögeln. Sogar nach der scharfen Stimme. Aber das wagte er nicht zu sagen …
V erdammtnoch mal, Martin, was machen wir hier eigentlich?« Frustriert warf Patrik den Kugelschreiber auf den Schreibtisch. Er kullerte über die Tischplatte und landete auf dem Boden. Martin hob ihn auf und legte ihn zurück.
»Es ist erst eine Woche vergangen, Patrik. So etwas braucht Zeit, das weißt du doch.«
»Ich weiß aber auch, dass es statistisch gesehen von Tag zu Tag unwahrscheinlicher wird, dass man den Fall löst.«
»Wir tun unser Bestes. Der Tag hat nur vierundzwanzig Stunden.« Martin sah Patrik prüfend an. »Apropos, willst du dir nicht mal einen Vormittag freinehmen, in Ruhe duschen und dich ein bisschen ausruhen? Du siehst ziemlich kaputt aus.«
»Bei diesem Zirkus soll ich mich ausruhen?« Patrik strich sich mit der Hand durch das zerzauste Haar. Ein schrilles Telefonklingeln ließ die beiden zusammenzucken. Irritiert nahm Patrik den Hörer ab und legte sofort wieder auf. Kurz darauf klingelte es wieder. Genervt ging Patrik in den Korridor. »Mensch, Annika, ich habe doch gesagt, du sollst mein Telefon umstellen!« Mit einem lauten Knall ließ er die Tür hinter sich zufallen. Mehrere andere Telefone im Kommissariat klingelten ununterbrochen, aber durch die geschlossene Tür hörte man sie nur gedämpft.
»Sogeht das nicht weiter. Du bist ja kurz vom Durchdrehen. Schlaf dich mal aus. Du musst was essen. Außerdem solltest du Annika um Entschuldigung bitten, sonst trifft dich der böse Blick. Das bedeutet sieben Jahre Unglück. Oder sie gibt dir freitags nie wieder von ihren selbstgebackenen Muffins ab.«
Patrik sackte schwerfällig auf seinen Stuhl, musste aber trotzdem lachen. »Du glaubst, sie würde mir gnadenlos die Muffins
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