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Die Totgesagten

Titel: Die Totgesagten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Läckberg
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blicken. Gespannt blätterte sie um. Sie sah die Ausschnitte bereits auf einer Doppelseite im Abendblatt , die besten Stellen fett unterstrichen. Erstaunlicherweise war Barbie gar nicht so bescheuert gewesen, wie Tina geglaubt hatte. Ihre Gedanken und Beschreibungen waren gut formuliert und teilweise ziemlich klug. Sie runzelte jedoch die Stirn, als sie zu der Passage kam, die sie veranlasst hatte, den Mist an die Presse zu verkaufen. Diese Seite würde sie natürlich vorher herausreißen.
    Heute habe ich bei Tinas Probe zugehört. Sie will das Lied heute Abend auf der Party singen. Arme Tina. Sie hat keine Ahnung, wie furchtbar sie sich anhört. Ich frage mich, wie das möglich ist. Wie kann sich etwas, das nach außen so grauenhaft klingt, für den Sänger gut anhören? Auf der anderen Seite ist es kein Wunder, auf diesem Prinzip baut ja das ganze Konzept von Schweden sucht den Superstar auf. Offensichtlich hat ihre Mutter ihr eingeredet, dass sie Sängerin werden kann. Tinas Mutter ist wahrscheinlich taub, anders kann ich mir das nicht erklären. Aber ich habe nicht den Mut, es Tina zu sagen. Also spiele ich mit, obwohl ich im Grunde glaube, dass ich ihr damit keinen Gefallen tue. Ich rede mit ihr über ihre Karriere, zukünftige Erfolge, Konzerte und Tourneen. Aber ich fühle mich schlecht dabei, weil ich sie anlüge. Arme Tina.
    Wütend riss Tina die Seite heraus und zerriss sie in winzige Schnipsel. Blöde Kuh! Sie war ohnehin nicht besonders traurig über Barbies Tod gewesen, aber nun erst recht nicht mehr. Diese Ziege hatte bloß gekriegt, was sie verdiente! Die hatte doch keine Ahnung, wovon sie redete. Mit dem Stiefelabsatz vergrub Tina die Papierfetzen im Kies. Dann blätterte sie weiter zu der Stelle, die sie so verblüffte. Barbie hatte diese Seite kurz nach der Ankunft in Tanum hastig heruntergekritzelt.
    Irgendetwaskommt mir an ihm bekannt vor. Aber ich weiß nicht, was es ist. Es fühlt sich an, als würde mein Gehirn auf Hochtouren arbeiten und nach etwas suchen, das irgendwo verschüttet liegt. Aber ich weiß nicht, was es ist. Seine Art, sich zu bewegen. Seine Art zu reden. Ich weiß, dass ich das schon einmal gesehen habe, aber ich weiß nicht, wo. Ich weiß nur, dass ich ein blödes Gefühl habe, das immer stärker wird. Als würde sich in meinem Magen etwas verknoten. Es hört einfach nicht auf, solange ich nicht draufgekommen bin.
    Ich musste in letzter Zeit so viel an Papa denken. Warum, weiß ich nicht. Eigentlich hatte ich mit diesen Erinnerungen längst abgeschlossen. Sie tun so weh. Es tut so weh, sein Lachen zu sehen, seine feste Stimme zu hören und seine Finger zu spüren, die mir zärtlich die Haare aus dem Gesicht streichen, wenn er mir einen Gutenachtkuss gibt. Jeden Abend. Immer einen Kuss auf die Stirn und einen auf die Nasenspitze. Jetzt erinnere ich mich daran. Zum ersten Mal seit Jahren. Und ich kann mich selbst sehen, von außen. Ich sehe, was ich aus mir gemacht habe, und was andere aus mir gemacht haben. Ich kann mich jetzt mit Papas Augen sehen. Ich spüre, wie verwirrt und enttäuscht er ist. Seine Lillemor ist so weit weg. Sie versteckt sich irgendwo hinter der ganzen Verzweiflung und dem Wasserstoffperoxid und der Angst und dem Silikon. Ich habe mich verkleidet, damit mich niemand sieht. Damit Papas Augen mich nicht finden. Es tat so weh, sich an seinen warmen Blick zu erinnern. Jahrelang gab es nur ihn und mich. Ich fühlte mich so geborgen. Die Kälte danach konnte ich nur überleben, indem ich die Wärme vergaß. Nun spüre ich sie wieder. Ich erinnere mich. Ich fühle. Und irgendetwas ruft nach mir. Papa will mir etwas sagen. Wenn ich nur wüsste, was. Aber es hat etwas mit ihm zu tun. Das weiß ich genau.
    Tinalas die Stelle immer wieder. Was meinte Barbie bloß? Hatte sie hier in Tanum jemand wiedererkannt? Tinas Neugier war geweckt. Sie drehte ihre langen braunen Haare zusammen und legte sie sich über die Schulter. Mit dem Tagebuch auf dem Schoß, zündete sie sich eine Zigarette an und nahm einen genüsslichen Zug, bevor sie weiterblätterte. Abgesehen von der Seite, die sie eben gelesen hatte, war das Tagebuch ziemlich langweilig. Barbie hatte hineingeschrieben, was sie von den Teilnehmern hielt, was sie sich für Gedanken über ihre Zukunft machte. Den Serienalltag hatte sie genauso satt gehabt wie alle anderen hier. Einen Moment dachte Tina, dass die Polizei vielleicht Interesse an dem Tagebuch haben könnte. Doch dann fiel ihr Blick auf die Papierschnipsel,

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