Die Traene des Drachen
langsam in Bewegung setzten, wurden immer größer. Es schien, als würde sich der ganze Berg von einer Last befreien wollen, die ihn schon viel zu lange erdrückt hatte. Unter dem unaufhaltsam hinunterrutschenden Schnee kam nackter Felsen zum Vorschein. Maél war der Erste, der bei diesem urgewaltigen Schauspiel seine Stimme wiederfand. „Wir verschwinden lieber von hier. Ich weiß nicht wie weit die Lawine reichen wird. Sie wird auf jeden Fall gigantisch sein. Los schnell! Lasst uns zurückrennen!“ Maél packte Elea an der Hand und gab Finlay einen Stoß. Die drei rannten so schnell sie konnten zurück zu den anderen, die mit offen stehenden Mündern fassungslos auf den Berg starrten, von dessen Fuße aus sich ihnen eine bedrohlich nähernde Lawine entgegenwälzte. Zugleich erhob sich wie von weitem ein leises Rauschen, das immer lauter wurde. Durch die sich bewegende Unmenge an Schnee schlug den Reitern und ihren Pferden plötzlich ein heftiger, mit feinem Eisstaub durchsetzter Wind ins Gesicht. Dadurch wurde ihnen die Sicht auf den Berg verwehrt. Instinktiv gingen sie noch ein paar Schritte zurück und mussten ihr Gesicht abwenden, um es vor den pfeilschnell durch die Luft wirbelnden Eiskristallen zu schützen.
Nach einer Weile hörte endlich das Knacken und Knirschen des Eises auf und der sturmartige Wind hatte sich von jetzt auf nachher gelegt. Als sie sich wieder umdrehten, hielten alle unwillkürlich den Atem an. Jadora pfiff laut durch die Zähne und Finlay hatte bereits wieder eine pessimistisch dreinblickende Miene aufgesetzt. Der Blick der zehn Menschen fiel auf einen ungeheuer großen Schneehaufen, der sich fast haushoch bis über die Mitte der Kreisfläche aufgetürmt hatte. Elea konnte ihre Mutlosigkeit nicht verbergen. „Also von einem Schneeberg wie in meinem Traum, der einfach nur den Eingang der Höhle versperrt, kann nicht unbedingt die Rede sein, Maél. Wie soll ich nur...“ Bevor irgendjemand einen niederschmetternden Kommentar von sich geben konnte, unterbrach er sie, während er ihr die Hand drückte und ihr ruhig und gelassen in die Augen sah. „Elea, lass dich von dieser Schneemenge nicht verunsichern. Dein kleiner Stab hat es doch auch geschafft, den Berg von all dem Schnee zu befreien. Mit deiner Magie wird es dir schon gelingen. Davon bin ich felsenfest überzeugt.“
„ Habt ihr eigentlich schon etwas weiter geschaut, als bis zu dem riesigen Schneehaufen?“, wollte Finlay wissen, von dessen Stimme Unglauben und Faszination herauszuhören war. Maél und Elea lösten ihren Blick voneinander und sahen auf den riesigen Felsen, der den vor ihm aufgetürmten Schneeberg immer noch weit überragte. Eine gewaltige Öffnung war zu erkennen, die ebenso spitz und steil wie der Berg selbst fast bis an dessen Gipfel reichte. Diese Öffnung sah aus wie ein Spalt, der mit einem riesigen Beil und mit übermenschlicher Kraft in das Felsgestein geschlagen wurde. Maél und Elea sahen sich wieder an. Er sprach mit zuversichtlicher Stimme zu ihr, auch wenn er angesichts der bevorstehenden Trennung und der Tatsache, dass er ihr in naher Zukunft das Herz brechen würde, alles andere als hoffnungsvoll war. „Bisher lief alles so, wie du es in deinem Traum gesehen hast. Den Schneehaufen wirst du auch bewältigen. Du wirst sehen! Allerdings wirst du eine enorme Welle in dir aufbauen müssen, mindestens so groß wie jene im Stall. Deshalb werden wir jetzt die Zelte aufschlagen, damit du dich noch einmal richtig ausschlafen kannst. Du wirst deine ganze Kraft brauchen.“ Elea entgegnete ihm sofort: „Aber ich dachte, du wolltest mich so schnell wie möglich zum Drachen bringen, weil Darrach uns höchstwahrscheinlich schon auf den Fersen ist. Wir sind doch schon fast an unserem Ziel!“
„ Ich weiß, aber du hast doch selbst gesagt, dass der Adler noch ganz gelassen sei und dich nicht zur Eile gedrängt habe. Außerdem ist es bereits so dunkel, dass Darrach sicherlich die Nacht dort verbringen wird, wo er sich gerade befindet. Auch wenn er ein Zauberer ist, bleibt er ein Mensch. Und nach seinem körperlichen Zustand zu urteilen, in dem er sich befand, als wir Moray verließen, glaube ich kaum, dass er in der Lage ist, auch noch die Nächte durchzureiten. Morgen früh beim ersten Tageslicht werde ich die beste Stelle an diesem verfluchten Schneehaufen suchen, wo wir seine Durchdringung angehen werden.“ Maél bemühte sich, seine Entscheidung vor Elea glaubhaft zu rechtfertigen. Er hoffte, dass Jadora
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