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Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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Meisterin der Verstellung. Niemand hat sie als Frau erkannt. Selbst die helle Stimme hat keinen Verdacht erregt, weil sie sich wie ein Mann bewegt und verhalten hat. Außerdem hat sie ihre weiblichen Rundungen mit einer Schnürung versteckt. Eine teuflische List. Ich glaube, dass sie ein Geheimnis hat, das sie nicht preisgeben will. Die Geschichte mit der offenen Rechnung ist jedenfalls erlogen.«
    »Ich sehe das genauso«, ergänzte Langkoop. »Die Metze hat ein dunkles Geheimnis. Wenn wir nicht Order gehabt hätten, sie vorerst in Ruhe zu lassen, hätten wir es vielleicht schon aus ihr herausgepresst.«
    Remser sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Ihr wisst, dass wir erst offiziell den Rat der Stadt Rottweil benachrichtigen mussten.«
    »Gibt es inzwischen Antwort?«, wollte Schedel wissen.
    »Ja. Man äußert Verständnis dafür, dass wir Anspruch auf sie erheben, weil sie einen Anschlag auf einen hiesigen Ratsherrn verübte, doch man bittet uns, nicht zu vergessen, dass allein sie weiß, wo das Kind steckt.«
    »Ach ja, das Kind«, murmelte Langkoop. »Bei sich hatte sie es jedenfalls nicht.«
    »Sie muss einen Komplizen haben«, meinte Schedel. »Oder sie hat es längst getötet.«
    »Ihre eigene Brut?«, rief Langkoop entsetzt.
    »Vielleicht ist sie nicht bei Verstand.« Schedel zuckte mit den Schultern. »Immerhin hat sie schon einen Mord begangen, oder? Deswegen wird sie doch von den Rottweilern gesucht.«
    Langkoop wollte etwas einwenden, doch Remser hob die Hand. »Mag sein, dass Meister Karl gar nicht so falsch liegt. Vielleicht ist sie tatsächlich nicht ganz richtig im Kopf. Wäre nicht verwunderlich, bei ihrer Geschichte.«
    Die beiden sahen ihn erstaunt an.
    »Erinnert Ihr Euch an die Tragödie der Familie Wilhelmis?«, fragte er.
    Die beiden senkten die Köpfe.
    »Natürlich, wer wird das je vergessen können? Eine ganze Familie ausgelöscht! Immerhin sind die Schuldigen einen furchtbaren Tod gestorben«, sagte Schedel.
    Remser nickte. »Was würdet Ihr sagen, wenn es eine überlebende Wilhelmis gäbe?«
    Die Köpfe der beiden ruckten nach oben. »Unmöglich!«
    »Das dachte ich ebenfalls. In dieser Schlucht sind alle abgeschlachtet worden wie Vieh. Es gab kein Entkommen. Aber …« Remser schüttelte den Kopf und hob das Pergament hoch. »In diesem Brief behauptet Katherina Füger, die Mutter des Wendel Füger, der der Gatte der Melissa Füger ist«, er holte Luft, »dass Melissa Füger«, er machte eine kurze Pause, »… dass Melissa Füger in Wahrheit Melisande Wilhelmis ist.«
    Langkoop sprang von seinem Stuhl auf. »Sind denn alle verrückt geworden?« Da niemand antwortete, setzte er sich wieder und trank von seinem Wein.
    »Das ist noch nicht alles«, sagte Remser und rieb sich die Handgelenke, die seit zwei Tagen schmerzten. Das nasse Wetter war nichts für ihn und seine Knochen. »Katherina Füger behauptet, dass Melisande Wilhelmis nach der Tragödie viele Jahre unerkannt hier in Esslingen gelebt hat.«
    Schedel lachte gekünstelt. »Also bitte, das Ganze wird ja immer abwegiger. Die Wilhelmis’ waren Rotschöpfe, keiner von denen hätte unerkannt hier in Esslingen leben können. Und überhaupt, es wäre doch aufgefallen, wenn plötzlich ein junges Mädchen aufgetaucht wäre – ganz ohne Familie und doch offenbar keine Magd oder Bettlerin.«
    Remser steckte sich ein Stück Fleisch in den Mund und kaute. Unwillkürlich musste er an den Medicus denken, der ihm geraten hatte, seine Ernährung umzustellen, da das viele Fleisch seine Gelenke zerstören würde. So ein Unsinn! Außerdem gab es Wichtigeres, um das er sich zu kümmern hatte. Und Interessanteres. »Meine Herren!« Endlich konnte er jemandem seine Theorie unterbreiten. »Ein Mädchen wäre sicherlich aufgefallen. Aber denkt einmal zurück. Erinnert Euch. Es ist viele Jahre her, sicher, aber in der Zeit nach dem Überfall auf die Wilhelmis’ gab es einen Neuzugang in der Stadt, der rote Haare hatte.«
    Schedel und Langkoop zuckten mit den Schultern. »Das mag wohl sein«, sagte Schedel. »Ständig kommen Leute in die Stadt, doch es war niemand darunter, der mir im Gedächtnis geblieben wäre.«
    »Tatsächlich nicht? Denkt nach, Schedel!« Remser konnte gut verstehen, dass Schedel nicht wusste, von wem er sprach. Der Gedanke war so ungeheuerlich, dass er selbst es noch immer nicht recht glauben wollte. »Ihr habt gesagt, Melissa Füger könne einfach so in die Haut eines Mannes schlüpfen, ohne dass jemand etwas merkt. Nur

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