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Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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Weg zur Inneren Brücke, dennoch hatte sich vor dem Tor eine Schlange aus Menschen, Karren und Vieh gebildet. Es dauerte eine Ewigkeit, bis von Säckingen zu den Wachmännern vorfahren konnte, die jeden Wagen, der aus der Stadt wollte, genauestens untersuchten.
    »Wer bist du? Wohin willst du?«, fragte einer feindselig.
    Von Säckingen wich seinem Blick aus. »Franz Gnopius, zu Diensten, Knecht des freien Bauern Walter Knofliger vom Gut Zweiherrenborn. Ich habe keine Ladung, würde aber gerne meinen Wagen aus der Stadt fahren, damit er nicht ein Raub der Flammen wird.«
    Wendel hielt sich ein Stück hinter dem Wagen und beobachtete, wie der Wachmann sich am Kinn kratzte, die Plane hob und dann von Säckingen wieder ansprach. »Soso. Dein Wagen also. Seit wann hat ein Knecht einen eigenen Wagen?«
    Verflucht! Wendels Hände krampften sich um die Zügel. Der Ritter hatte sich verplappert. Wahrhaftig, mit dem Schwert war er schneller als mit dem Verstand.
    »Habe ich das gesagt?« Von Säckingen schlug sich vor die Stirn. »Na ja, schön wär’s, und Ihr habt mich sogleich bei meinem Fehler ertappt. Der Wagen gehört natürlich meinem Herrn.«
    Nicht schlecht, dachte Wendel, aber auch wieder zu gut für einen Knecht, zu gewitzt und zu glattzüngig.
    Der Wachmann pfiff durch die Zähne. Sogleich sprangen ihm drei Kameraden zur Seite. »Nun, dann wollen wir doch mal schauen, ob mit deinem Wagen alles in Ordnung ist. Weißt du, wir suchen einen Brandstifter, und vielleicht ist das ja die Fracht, die du nicht hast.«
    Der Wachmann zog sein Schwert, schlug mit der Klinge von außen an die Planken und stutzte.
    Verdammt nochmal, dachte Wendel, wir sind aus der Hölle entkommen, und nur weil dieser dumme Ritter das Maul nicht halten kann, scheitern wir fünf Fuß vor der Freiheit. Und für all das hat Antonius sein Leben gegeben. »Verflucht sei diese Stadt!«, rief er, zog das Schwert und trat seinem Pferd in die Seiten.
***
    Von Säckingen legte die Hand an sein Schwert. Der hohle Klang war nicht zu überhören gewesen. Sie waren entlarvt, und das, weil er sich verraten hatte. Aber verdammt nochmal, er war nun einmal kein Knecht, und er wusste auch nicht, wie ein solcher sich gewöhnlich ausdrückte. Er war Ritter, und Ritter pflegten zu kämpfen. List und Betrügereien lagen ihnen nicht. Er umfasste den Schwertgriff fester. Vier Wachen? Lächerlich! Die beiden ersten würde er mit einem Streich fällen, und bevor die anderen überhaupt wussten, von wo die Gefahr drohte, würden sie ihrem Schöpfer gegenüberstehen.
    Doch bevor er sein Schwert heben konnte, hörte er die Stimme des Weinhändlers. »Verflucht sei diese Stadt! Esslingen muss brennen! Und alle, die darin leben! Wehe Euch, Esslinger Bürger! Noch viele Feuer schwelen in Euren Kellern und Stuben, und sie werden bald ausbrechen, auf dass diese gottlose Stadt vom Antlitz der Erde hinweggerafft werde. Esslingen steht in Flammen! Ihr seid alle verloren!«
    Von Säckingen war einen Herzschlag lang wie erstarrt. Dieser Füger war wirklich schlau. Und tollkühner, als er gedacht hätte. Die Wachen ließen augenblicklich von dem Wagen ab, Befehle flogen durch die Luft, doch Wendel Fügers Warnrufe taten bereits ihre Wirkung.
    »Feuer!«, schrie eine Frau.
    Im Nu schallte es aus vielen Kehlen: »Rette sich, wer kann! Die Stadt ist verloren! Die Feuerteufel sind in unseren Mauern!«
    Verzweifelt versuchten die Wachen, die Meute zur Vernunft zu bringen. Es war ein vergebliches Unterfangen. Von Säckingen wusste das nur zu gut. War ein bestimmter Punkt überschritten, hatte sich unter den Menschen das richtige Maß an Angst breitgemacht, dann verhielten sie sich wie Vieh: Sie versuchten nur noch, um jeden Preis, ihre Haut zu retten, ganz gleich, wie sinnlos, ja widersinnig ihr Bemühen war. Das schied die niederen Leute von den Rittern: Ein Ritter verlor nie den kühlen Kopf.
    »Ergreift den Feuerteufel!«, brüllte der Hauptmann der Wache, aber seine Männer kamen nicht zu Wendel durch, weil die Masse noch stärker als zuvor wie zäher Schlamm auf das Tor zudrängte und jeder den anderen wegschubste, um nur ja schnell aus der Stadt zu gelangen. Oben auf den Zinnen liefen die Wachen hin und her, sie legten die Armbürste an, konnten jedoch nicht schießen, da Wendel ständig in Bewegung blieb und immer wieder geschickt hinter einem Wagen oder anderen Reitern Deckung suchte. Auf diese Weise bewegte er sich mit dem Strom auf das Tor zu.
    Von Säckingen wandte den Blick ab.

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