Die Tränen der Henkerin
als Henker doch nicht ganz vergebens war«, murmelte sie so leise, dass nur Wendel es hören konnte. Sie lächelte ihn an. »Sieht so aus, als müsste ich uns beide ein zweites Mal aus dem Schelkopfstor hinausschmuggeln.«
***
Es krachte. Splitter regneten auf den Boden, die Klinge einer Axt drang durch das Holz. Wendel zuckte zusammen. Die Tür des Thronsaals war leicht gebaut, hier wurde ja niemand eingesperrt, also bedurfte es keiner schweren Kerkertür. Nur noch wenige Hiebe, dann hatten die Wachen ein Loch freigeschlagen, das groß genug war, um hindurchzusteigen.
Melisande griff seine Hand und zog ihn in eine Ecke, Antonius und von Säckingen blieben drei Schritte von der Tür entfernt stehen, die Schwerter bereit zum Kampf. »Hier ist es!«, rief Melisande.
Wendel nickte. In der dunkelsten Ecke des Raums war eine Tür zu erkennen. Sie war niedrig, kaum fünf Fuß hoch. Dahinter war vermutlich ein Lagerraum. Und dann? Die Falle wurde nur ein wenig größer. Sie brachten lediglich eine weitere leicht zu durchbrechende Holzbarriere zwischen sich und ihre Gegner. Das würde sie nicht lange aufhalten.
Melisande zog die Tür auf, bückte sich und spähte hinein. »Ich brauche Licht.«
Wendel reichte ihr eine Fackel. Melisande nahm sie und verschwand aus seinem Blickfeld.
Wieder schlugen die Wachleute hinter ihnen ganze Stücke aus der Tür. Wendel drehte sich zu Antonius und von Säckingen um. Er musste ihnen helfen. Egal, was Melisande vorhatte, sie mussten ihr Zeit verschaffen. Langsam zog er das Schwert und bezog neben Antonius Stellung. Wer immer durch diese Türe kommen würde, war des Todes. Schon klaffte eine Lücke in dem Holz, so groß, dass sich ein Mann hindurchzwängen könnte. Sie mussten zur Seite ausweichen, denn jetzt konnte jederzeit ein Armbrustbolzen auf sie abgeschossen oder eine Lanze hindurchgestoßen werden. Doch die Soldaten wollten die Tür offenbar ganz einschlagen, um dann in breiter Front angreifen zu können.
Wendel hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten. Der Lärm war so groß, dass er sein eigenes Wort nicht verstand. Wie konnten Soldaten in einer Schlacht diesen Wahnsinn stundenlang aushalten? Er spürte bereits, wie das Gepolter und Gebrüll ihm die Kräfte raubte.
Von Säckingen machte einen Ausfallschritt nach vorne und stieß das Schwert durch die Lücke. Ein Mann schrie auf, zwei Lanzen stießen durch das Loch, von Säckingen entging ihren tödlichen Spitzen nur knapp.
Gut gemacht, dachte Wendel. Wieder ein paar Augenblicke Zeit gewonnen. Melisande erschien an dem Durchgang. Sie winkte ihm, und Wendel machte Antonius ein Zeichen, dass er ihr helfen musste. Schon war Melisande wieder verschwunden. Wendel lehnte sein Schwert an die Wand neben dem Durchgang und schlüpfte ebenfalls hindurch.
»Ich schaffe das nicht allein!«, schrie Melisande. Sie zeigte auf ein Fass, das augenscheinlich nicht mehr zu gebrauchen war, denn die Dauben waren morsch, Sand sickerte zwischen ihnen hindurch auf den Boden. Wendel warf sich mit aller Kraft gegen das Ungetüm, und tatsächlich, es bewegte sich eine Handbreit.
Melisande packte mit an, das Fass kippte und rollte zur Seite. Wendel schloss kurz die Augen, öffnete sie wieder, aber was er gesehen hatte, war noch immer da: ein Durchgang zu einem benachbarten Keller. Hoffnung flackerte in ihm auf. Er wusste, dass in den meisten Städten die Keller miteinander verbunden waren, damit die Bewohner unterirdisch fliehen konnten, wenn der Feind die Häuser unter Beschuss nahm oder bereits in der Stadt stand. Dass aber der Folterkeller an das Netz der Gänge angeschlossen war, hätte er nicht für möglich gehalten. Wenn die Keller wirklich verbunden waren, dann konnten sie fliehen – vorausgesetzt, die Soldaten kannten diesen Durchgang nicht. Aber selbst wenn … Sie konnten nicht alle Häuser und Keller Esslingens überwachen, zumal in der Pliensau nach wie vor ein Feuer Leib und Leben der Bewohner bedrohte.
Er wandte sich wieder dem Thronsaal zu, er musste Antonius und von Säckingen holen. Kaum hatte er sich durch den engen Durchgang gezwängt, als ihn ein Armbrustbolzen nur knapp verfehlte. Er warf sich zur Seite. Die Tür war inzwischen in tausend Stücke gespalten. Antonius und von Säckingen hielten die Angreifer in Schach, indem sie mit ihren Schwertern von der Seite her auf alles einhackten, was sich durch die Tür wagte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Angreifer sie überwältigten.
Eine Armbrust schob sich in den
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