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Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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Wachen am Tor ihn gefasst hatten? Was, wenn er nicht mehr lebte? Sie dachte wieder an Othilia. Irgendwie musste die Gräfin das Versteck im Wald ausfindig gemacht haben. Vielleicht hatte sie Antonius bestochen. Deshalb hatte er sich ihr gegenüber so merkwürdig verhalten, feindselig und schuldbewusst zugleich. Doch er hatte seinen Verrat gutgemacht, hatte sein Leben geopfert, um ihres zu retten. Ja, Othilia hatte Gertrud entführen lassen, nur so ergab alles einen Sinn. Und sie hatte ihren Ritter losgeschickt, um Melisande aus dem Kerker zu holen. Von Säckingen hatte bei ihrer Befreiung nur geholfen, weil Konrad Sempach die Rachepläne der Gräfin durchkreuzt hatte. Othilia wollte Melisande für sich allein. Vermutlich waren sie nun unterwegs zur Adlerburg, ein furchtbarer Gedanke. Aber wenn Gertrud dort war, war es der richtige Weg.
    Das Feuer prasselte, von Säckingen erhob sich und setzte sich neben sie, mied aber ihren Blick. »Jetzt wird es bald ein wenig wärmer.« Er griff nach einem Leinenbeutel, der im Gras lag. »Leider habe ich nur ein Stück Brot, einen Zipfel Wurst und ein wenig Wein. Damit müssen wir auskommen, zumindest heute Abend.«
    Melisande schüttelte den Kopf. »Ich habe keinen Hunger.«
    »Ihr solltet aber essen, damit Ihr wieder zu Kräften kommt.« Er hielt ihr ein Stück Brot hin.
    Melisande schluckte. In der Tat sollte sie Othilia von Hohenfels nicht völlig ausgehungert gegenübertreten. Sie würde all ihre Kraft brauchen, um Gertrud zu befreien. Schweigend griff sie nach dem Brot.
    Eine Weile aßen sie, ohne etwas zu sagen. Schließlich zeigte von Säckingen auf ihren Arm. »Die Wunde nässt. Sieht nicht gut aus.«
    Melisande zuckte mit den Schultern. »Ihr habt wohl kaum Verbandszeug dabei, oder?«
    Er stand auf. »Wickelt den Lumpen ab.«
    Während Melisande tat, wie ihr geheißen, sprang von Säckingen auf den Wagen und kramte in einem Fach unter dem Bock herum. Als er sich nach vorn beugte, erkannte sie, dass er selbst einen Verband um die Hüfte trug. Er musste sich beim Kampf im Kerker verletzt haben. Mit einem halbwegs sauberen Stück Leinen in der Hand kehrte er zurück und riss es in schmale Streifen. Er kniete vor Melisande nieder und legte die Streifen auf seinem Oberschenkel ab. Ohne ein Wort goss er den Rest Wein aus dem Schlauch über die entzündete Wunde und wickelte die Leinenstreifen darum. Widerwillig bemerkte Melisande, dass er sich dabei recht geschickt anstellte.
    Als er fertig war, warf er ein paar Äste ins Feuer und blieb mit dem Rücken zu ihr stehen.
    Melisande holte Luft. Jetzt oder nie! Sie durfte nicht länger die Augen vor der Wahrheit verschließen. »Was ist … was ist mit Wendel?«, flüsterte sie.
    Von Säckingens Schultern zuckten. Er drehte sich nicht zu ihr um. »Wir haben uns vor dem Stadttor getrennt, er hat einen anderen Weg genommen.«
    »Es geht ihm also gut?« Melisande ballte die Fäuste vor Anspannung.
    »Als ich ihn das letzte Mal sah, saß er auf seinem Pferd und hüllte das Kloster der Klarissen in eine Staubwolke.«
    Melisande hätte am liebsten aufgeschluchzt vor Erleichterung. Wendel lebte! Sie erinnerte sich, wie sie ihn vor dem Stadttor laut rufen gehört hatte, um die Aufmerksamkeit der Wachen auf sich zu lenken. Ihre Brust wäre beinahe geplatzt vor Rührung und Stolz. Ja, das war der Wendel, den sie liebte. »Wie finden wir ihn?«, fragte sie, obwohl sie die Antwort ahnte. Auf der Adlerburg. Dort laufen alle Fäden zusammen.
    »Wir haben einen Treffpunkt ausgemacht«, sagte von Säckingen. »Er wird dort auf uns warten. Ohne Wagen ist er viel schneller, er ist sicher schon dort.«
    Ja, sicher, dachte Melisande. Lügen ist nicht Euer Geschäft, Ritter. Ihr solltet es besser gar nicht erst versuchen. Wendel wird sich wundern, wo wir bleiben. Aber er ist nicht dumm. Er wird eins und eins zusammenzählen und ebenfalls zur Adlerburg eilen. Sie erhob sich und trat neben von Säckingen ans Feuer. »Danke.«
    Überrascht sah er sie an. »Wofür?«
    »Ihr habt mir das Leben gerettet.« Sie lächelte ihn an. Heute Nacht war sie dem Ritter ausgeliefert, es schadete nichts, ihn in Sicherheit zu wiegen, ihm das Gefühl zu geben, dass sie arglos war wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wurde.
    Von Säckingen räusperte sich. »Ich … ich war Euch noch etwas schuldig. Der Fronhof bei Hülben, in der Nähe der Stadt Urach. Sicher erinnert Ihr Euch. Das Feuer. Damals kam ich zu spät, um diese Unholde an ihrer frevlerischen Tat zu

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