Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
Vom Netzwerk:
hindern. Ich wollte meine Scharte auswetzen.«
    Melisande blickte in die Flammen, sah wieder das brennende Haus, ihre braven Zieheltern Ida und Herrmann, die in dem Feuer umgekommen waren, das ihr gegolten hatte.
    »Dem Himmel sei Dank, dass Ihr davongekommen seid«, flüsterte von Säckingen neben ihr.
    Sie warf ihm einen Blick zu. Seine Augen waren auf das knisternde Feuer gerichtet, doch sie schienen etwas ganz anderes zu sehen. Melisandes Herz schlug schneller. Konnte es sein, dass der Ritter …
    »Ihr solltet Euch niederlegen«, unterbrach von Säckingen harsch ihren Gedanken. »Ihr habt einen anstrengenden Tag hinter Euch. Und vermutlich einen ebensolchen vor Euch.« Er streifte seinen Umhang ab und breitete ihn neben dem Feuer aus. »Macht es Euch bequem, ich halte Wache.«
    Melisande gehorchte. Sie streckte sich auf dem Boden aus und wickelte den Umhang um sich. Von Säckingen ließ sich im Schneidersitz neben ihr nieder, und sie wusste, dass sie zumindest für diese Nacht in Sicherheit war.
***
    Je dunkler er wurde, desto lauter wurde der Wald. Zumindest kam es Wendel so vor. Überall knackte und raschelte es, ein Käuzchen rief, und von unten aus der Schlucht drangen Grunzen und Schnaufen herauf. Einzig die Geräusche, auf die er so sehnsüchtig wartete, das Knirschen der Wagenräder und das Schnauben der Pferde, blieben aus.
    Wendel seufzte und rieb sich die schmerzende Schulter. Die Wunde brannte, doch sie schränkte seine Bewegungsfreiheit kaum ein. Er hatte Glück gehabt, ein paar Fingerbreit weiter rechts, und er wäre jetzt tot. Auch war der Bolzen nicht tief eingedrungen, sondern hatte sich schräg von oben in die Haut gebohrt. Dennoch hatte es ihn fast seine ganze verbliebene Kraft gekostet, ihn herauszuziehen. Vor Anstrengung war ihm der Schweiß über den Rücken gelaufen, und der Schmerz hatte ihn beinahe zerrissen. Danach war er erst einmal völlig erschöpft auf dem Waldboden zusammengesunken. Zu dem Zeitpunkt war er schon eine gute Stunde von Esslingen entfernt gewesen, und es bestand keine unmittelbare Gefahr mehr, dass die Verfolger ihn einholten.
    Wieder horchte Wendel in die Dunkelheit. Nichts außer den Lauten des Waldes. Er lief ein paar Schritte den Pfad entlang in Richtung Landstraße und spähte zwischen den Stämmen hindurch. Der fast volle Mond war von dunklen Wolken bedeckt, sodass er kaum die Hand vor Augen sehen konnte.
    Verflucht! Wendel ballte die Faust. Von Säckingen war aus der Stadt entkommen, der Wagen war vor ihm durch das Tor gerollt, und die Pferde waren losgaloppiert, sobald kein Hindernis mehr vor ihnen lag. War es möglich, dass sie trotzdem so viel länger brauchten als er? Oder waren sie unterwegs aufgehalten worden? Für den Fall, dass sie sich auf der Flucht trennen mussten, hatten sie ausgemacht, sich auf der Lichtung hinter der Berkheimer Steige zu treffen, auf der sie auf den Wagen gewartet hatten. Oder hatte er etwas missverstanden?
    Plötzlich wurde es Wendel eiskalt. Er presste seine Stirn an die raue Rinde eines Baumes. »Du Hornochse!«, murmelte er. »Du einfältiger Narr.« Er stieß den Kopf gegen den Stamm. Warum sollte Eberhard von Säckingen zum vereinbarten Treffpunkt kommen? Er wollte Melisande haben, aus welchem Grund auch immer, und dabei war Wendel ihm nur im Weg. Dass sie getrennt hatten fliehen müssen, war das Beste, was dem Ritter hatte passieren können. Sicherlich war er längst über alle Berge.
    Wendel unterdrückte den Drang, auf sein Pferd zu springen und loszureiten, sofort die Verfolgung aufzunehmen. Bei der Dunkelheit wäre das Selbstmord – zumal er nicht einmal wusste, in welche Richtung der Ritter mit Melisande unterwegs war. Er zwang sich, nachzudenken. Wohin würde von Säckingen Melisande bringen? Es gab nur einen Ort: die Adlerburg. Der Ritter handelte schließlich im Auftrag von Othilia, der Witwe von Ottmar de Bruce. Auf der Adlerburg würde er seine Frau finden oder zumindest eine Spur von ihr.
    Wendel kniete nieder. »Herr, vergib mir meine Sünden. Vergib mir, dass ich Feuer gelegt und brave Menschen getötet habe, die nur ihre Pflicht taten. Herr, bestrafe mich, wie es dir recht erscheint, wirf mich in die Hölle, aber verschone meine Tochter und meine Gemahlin.«
    Er schlug mehrmals das Kreuz, dann tastete er sich über den schmalen Pfad zurück zur Lichtung. Auf dem Boden bereitete er sich ein Lager. Er würde versuchen, ein paar Stunden zu schlafen, und beim ersten Morgengrauen würde er zur Adlerburg aufbrechen.

Weitere Kostenlose Bücher