Die Tränen der Henkerin
auch Antonius hatte sein gutes Zeug angezogen, denn Erhard Füger sollte heute von seiner Reise nach Ulm zurückkehren. Es war kurz vor Mittag, die Wachen hatten den Zug längst angekündigt, und jetzt endlich zwängte er sich durch das Obere Tor. Die Wagen rumpelten über die Kramergasse auf den Marktplatz zu. Ein Reiter löste sich aus dem Tross, rief den Kaufleuten einen Abschiedsgruß zu und zweigte in Richtung des Schwörhofs ab.
Antonius erkannte seinen Herrn sofort und fühlte dieselbe Anspannung wie immer, wenn er gegen dessen ausdrücklichen Befehl mit seiner Herrin in Rottweil gewesen war. Zudem fragte er sich, was Erhard Füger in Ulm gemacht hatte. Als er mit der Herrin aufgebrochen war, hatte sein Herr keine Reisepläne geäußert. Zwar war der Herr in letzter Zeit viel unterwegs, aber er kündigte seine Reisen doch zumindest eine Woche im Voraus an. Dieses Mal musste er kurz nach ihnen aufgebrochen sein, gerade so, als hätte er die Reise vor seiner Frau geheim halten wollen. Unsinn, schalt sich Antonius stumm. Wozu sollte Erhard Füger das tun? Er machte ohnehin, was er wollte. Und wenn er ein Geheimnis aus seiner Reise hätte machen wollen, wäre er wohl kaum einen Tag nach seiner Frau zurückgekehrt. Es sei denn, er war gar nicht in Ulm …
»Antonius!«, rief seine Herrin ihm zu. »Mach nicht so ein Gesicht!« Sie senkte die Stimme. »Hast du Angst, dass der Herr uns auf die Schliche kommt? Keine Sorge. Ich werde alle Schuld auf mich nehmen, und sollte er dich bestrafen wollen, dann wird er das mit einem wahrhaft weltlichen Fegefeuer bezahlen.«
Sie lächelte aufmunternd, aber Antonius wusste nur allzu gut, dass Erhard Füger ein unbeherrschter Mann war und dass in einem Moment der Raserei niemand vor seiner Wut sicher war. Er würde sich nicht von seiner Gemahlin aufhalten lassen.
Antonius seufzte. Alles wäre anders, wenn Wendel noch hier wäre. Warum hatte der junge Herr nur diese seltsame Frau geheiratet? Eine Zeit lang hatte er Wendel für so etwas wie einen Freund gehalten. Natürlich waren sie immer Diener und Herr gewesen, doch zwischen ihnen hatte es eine ganz besondere Vertrautheit gegeben. Bis die Geschwister de Willms aufgetaucht waren – erst Merten, der Schreiber mit der heiseren Stimme und dem bartlosen Kindergesicht, dann seine Schwester Melissa. Seither war er für Wendel nur noch der Leibwächter und Diener.
Ich habe Euch mit meinem Leben beschützt, dachte Antonius bitter, und das ist der Dank dafür. Warum hatte er sich so in Wendel getäuscht? Sie waren keine Freunde, das hatte der junge Herr ihn deutlich spüren lassen. Wegen eines Weibes war er davongelaufen, hatte er den Vater enttäuscht. Wegen eines Weibes, das ihm nicht die volle Wahrheit über sich erzählt hatte.
Inzwischen war der Reiter bei ihnen angekommen. Es war tatsächlich Erhard Füger. Als er absaß und zu ihnen trat, stutzte Antonius. Irgendetwas stimmte nicht. Das Lächeln! Der alte Füger lächelte, sein Gesicht strahlte, als hätte er das Geschäft seines Lebens abgeschlossen. Seine Haltung war aufrecht, und die Augen blickten klar. Er übergab das Pferd einem Knecht, nickte Antonius zu, nahm seine Frau in die Arme und küsste sie. Was war mit dem Mann geschehen? War der Heilige Geist über ihn gekommen? Oder hatte er für ein paar Münzen einen erstklassigen Weinberg erstanden?
»Hast du eine gute Reise gehabt, mein Liebster?«, fragte Katherina Füger.
Ihr Mann antwortete munter: »Ausgezeichnet. Mildes Wetter, keine Räuber, gute Geschäfte, angenehme Gesellschaft.« Er legte den Arm um sie und führte sie zum Haus. An der Schwelle wandte er sich zu Antonius um. »Halte dich bitte zur Verfügung, ich brauche dich bald.«
Antonius verneigte sich. »Ihr findet mich am Fuß der Achalm.«
Erhard Füger nickte und entließ ihn mit einer Handbewegung.
Wenig später packte Antonius seine Waffen aufs Pferd, wählte zwei junge Knechte aus, die seine Übungspartner sein sollten, und machte sich mit ihnen auf den Weg zur Wiese am Fuß der Achalm, wo der Rat einen Übungsplatz hatte einrichten lassen. Dort gab es alles, was ein Mann benötigte: Strohpuppen für den Bogen, Drehpuppen, um die schnelle Reaktion zu Fuß und zu Pferde zu trainieren, und hängende Ringe, um die Treffsicherheit mit der Lanze zu erhöhen.
Antonius wärmte mit einigen Übungen seine Muskeln auf und dehnte die Sehnen. Die Knechte hatten bereits Schutzkleidung angelegt und ihre Holzschwerter aufgenommen. Antonius griff ebenfalls zu
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