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Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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zurückkehrte – alles, was Wendel nicht schadete.
    »Antonius, du hast vor zwei Jahren viel Zeit mit Wendel verbracht. Sicherlich hat er dir so manches anvertraut. Erzähl mir, was du über Merten de Willms und seine Schwester Melissa weißt. Jede Kleinigkeit. Auch wenn sie dir noch so unwichtig vorkommt. Ich muss alles wissen.«
    Antonius zögerte. Es gab tatsächlich etwas, das er über Melissa wusste und niemandem erzählt hatte, ein Geheimnis, das er zwei Jahre lang gehütet hatte. Bis heute hatte er keinen Grund gesehen, sein Wissen preiszugeben, zumal er selbst nicht so genau wusste, ob es überhaupt von Bedeutung war. Doch vielleicht war dies der richtige Moment. Wenn es dabei half, dass Wendel sich wieder mit seinem Vater versöhnte – war es dann nicht recht, Melissa zu verraten? War sie nicht selbst schuld, wenn sie vor ihrem Gatten Geheimnisse hatte?
    Antonius stieß seine Schuhspitze in den feuchten Waldboden. Er würde seinem Herrn die Wahrheit sagen. Dann sollte der entscheiden, wie er das Wissen für sich nutzte. »Ihr erinnert Euch sicherlich, wie Wendel und ich Merten de Willms kennengelernt haben«, begann er. »Wie der fremde Schreiber eines Tages im Hof stand und um eine Unterkunft bat.«
    Er erzählte, wie er beobachtet hatte, wie Merten sich innerhalb weniger Tage eng mit Wendel angefreundet hatte, wie er plötzlich verschwunden und Melissa an seiner Stelle aufgetaucht war, seine angebliche Zwillingsschwester. Und dann, ganz so, als sei es ihm gerade eingefallen, berichtete er über ein Ereignis, das er bis heute für unwichtig erachtet hatte. »Wie Ihr wisst, habe ich Wendel und seine Braut nach Rottweil begleitet, nachdem sie dort das Haus erworben hatten. Ich weilte noch einige Tage dort, half Eurem Sohn beim Einrichten und bei der Suche nach Knechten und Mägden. Am zweiten Tag – es war ein milder und sonniger Spätherbsttag, nachdem es zuvor länger geregnet hatte – machte Melissa sich auf den Weg, eine Frau zu besuchen, die ein paar Wäschestücke für die Familie nähen sollte. Sie blieb lange weg. Die Näherin wohnte in einem Dorf unweit der Stadt, und Melissa hätte längst zurück sein müssen. Wendel wurde unruhig, und wir beschlossen, nach Melissa zu suchen. Da es zwei Wege in das Dorf gab, trennten wir uns, ich nahm den einen, Wendel den anderen Weg. Nur eine Meile von Rottweil entfernt entdeckte ich Melissa schließlich ein Stück vom Weg ab auf einer Lichtung. Es war Zufall, dass ich sie sah und nicht an der Stelle vorbeigeritten bin. Ich gab mich nicht zu erkennen und schlich mich an, denn mir kam ihr Verhalten seltsam vor. Sie schüttete gerade ein Loch zu, streute Laub darüber und verwischte alle Spuren. Dann ritt sie zurück nach Rottweil. Ich folgte ihr, holte sie am Flöttlinstor ein. Sie wurde ein wenig blass, als sie mich erkannte, doch ich ließ mir nicht anmerken, dass ich sie im Wald beobachtet hatte.«
    »Hast du nachgesehen, was sie dort vergraben hat?«
    Antonius schüttelte den Kopf. »Nein. Ich dachte, es ginge mich nichts an.«
    »Würdest du die Stelle wiederfinden?«
    »Jederzeit.« Antonius schloss die Augen. Kleine Tiere raschelten im Gebüsch, ein Schwarm Vögel flog mit lautem Geschrei auf. Dann sah er die Stelle wieder vor sich. »Es gibt dort eine unverwechselbare Baumgruppe. Etwa eine Meile nordwestlich der Stadt. Sie sieht aus wie Eltern mit ihren vier Kindern, die sich an den Händen halten: zwei hohe Tannen, vier Tannen, die immer kleiner werden. Wenn Ihr vor der höchsten Tanne steht, vom Weg aus gesehen, geht Ihr etwa zwanzig Schritte ins Unterholz. Dort stoßt Ihr auf eine Lichtung, in deren Mitte ein Felsklotz liegt, der rund ist und in der Mitte eine Vertiefung hat wie eine riesige Schale. Neben diesem Klotz hat Melissa de Willms das Loch zugeschüttet.«
    »Großartig!«, rief sein Herr. »Antonius, ich bin dir zu Dank verpflichtet.«
    Wieder flogen Vögel auf. Unruhig ließ Antonius seinen Blick schweifen. Der Wald kam ihm plötzlich feindselig vor. Gefahr lag in der Luft, er konnte sie spüren.
    »Gleich morgen brechen wir nach Rottweil auf«, fuhr Erhard fort. Er schien Antonius’ Unbehagen nicht zu bemerken. »Wir schauen uns an, was diese Melissa de Willms zu verbergen hat.« Er erhob sich und schwang sich in den Sattel. »Auf, Antonius! Wir sollten uns früh zur Ruhe begeben, morgen wartet ein scharfer Ritt auf uns.«
    Antonius stieg ebenfalls auf, doch sein Herr vermochte nicht, ihn mit seinem Tatendrang anzustecken. Er hatte

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