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Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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erhalten? War das ihre schwärzeste Stunde? War er tatsächlich tot? Wenn es so war, dann hatte er den Zeitpunkt, um nach Mechthild zu suchen, in der Tat schlecht gewählt. Die Männer, die ihn in Rottweil aufgespürt hatten, hatten allerdings nichts dergleichen erwähnt. Ihr Anführer, ein unterwürfiger Lakai Othilias, hatte beharrlich geschwiegen, als er ihn gefragt hatte, was denn so dringend sei, dass es keinen Aufschub vertrug. Eine Stunde. Mehr hätte er nicht gebraucht. Dann hätte er zumindest einen Blick auf Wendel Fügers Weib werfen können, um sich mit eigenen Augen zu versichern, dass er keiner Schimäre hinterherjagte. Er musste plötzlich an die beiden Frauen denken, die ihm auf dem Weg hinunter zum Neckar entgegengekommen waren. Die hintere war ihm bekannt vorgekommen. Sie war zu weit entfernt gewesen, als dass er ihre Gesichtszüge hätte erkennen können, und ihr Haar hatte züchtig unter einer Haube gesteckt. Doch etwas sagte ihm, dass dies seine Mechthild gewesen sein könnte. War sie deshalb so plötzlich verschwunden? Hatte auch sie ihn erkannt?
    Von Säckingen ballte die Fäuste. Hier und jetzt musste er erst einmal mit Othilia fertig werden. »Geht es um den Grafen? Hat man ihn gefunden? Ist er tot?«
    Anstatt eine Antwort zu geben, hieb Othilia erneut auf ihn ein. Rechts, links, rechts, links.
    Gut so, dachte von Säckingen, so kann sie ihre Wut und ihren Schmerz über de Bruce’ Verlust an mir auslassen. Empfand sie Schmerz? Hatte Othilia ihren Gemahl geliebt? Er vermochte es nicht zu sagen. Weiber waren ihm ein Rätsel, und Othilia war eine besonders undurchschaubare Vertreterin ihres Geschlechts.
    Sie ließ die Gerte sinken. »Ja, Ottmar ist tot. Und wenn ich nicht wüsste, dass Ihr und Eure Leute ihn gerettet habt …«
    Von Säckingen begriff sofort, worauf sie anspielte. »Man hat mein Schwert bei seinem Leichnam gefunden?«
    »In der Nähe.«
    »Ich hatte es ihm übergeben. Zusammen mit meinem Surcot und einem Beutel Münzen. Er hatte ja nichts bei sich.«
    Othilia senkte den Blick.
    Von Säckingen sah sie an. Er hatte ihr verschwiegen, dass es reiner Zufall gewesen war, dass er de Bruce hatte helfen können. Der Henker war gedungen gewesen, doch nicht von ihm. Bis heute wusste er nicht, wer seine Hände im Spiel gehabt, wer de Bruce die Flucht ermöglicht hatte. Letztlich ohne Erfolg. Mit einem Mal spürte von Säckingen eine unglaubliche Erleichterung in sich aufsteigen. Es war, als habe ihn jemand von einem Gewicht befreit, das ihm in den letzten Jahren wie ein Mühlstein an der Seele gehangen hatte. »Wo? Wer?« Er vermied jegliche Bewegung, das Kruzifix brannte in seiner Hand.
    Othilia trat zwei Schritte zurück und berichtete in knappen Worten, wie Graf Ulrich III., kurz nachdem von Säckingen fortgeritten war, mit seiner Jagdgesellschaft auf die Adlerburg gekommen war und ihr die Gebeine übergeben hatte.
    »Also ist er einem Bären zum Opfer gefallen?«, fragte er.
    »Nein!« Othilia schrie so laut und schrill, dass es von Säckingen in den Ohren schmerzte. »Kein Bär, sondern ein Weib! Eine verfluchte Metze! Ich will alles wissen über Melisande Wilhelmis und über den Tag, an dem Ottmar ihre Familie auslöschen ließ.« Sie schlug mit der Gerte in ihre flache Hand. »Und ich will wissen, was Ihr in Rottweil zu schaffen hattet.«
    Von Säckingen erschrak. Melisande Wilhelmis? War Othilia ihm etwa bereits auf die Schliche gekommen? Und dachte sie das Gleiche, was ihr Gatte vermutet hatte: dass die Magd Mechthild in Wahrheit Melisande Wilhelmis war? Das konnte nicht sein!
    Othilia grinste von Säckingen hämisch an. »Hat es Euch die Sprache verschlagen, von Säckingen?« Sie nahm wieder Platz. »Los, fangt an!«
    »Wie Ihr befehlt.« Von Säckingen verneigte sich. Einen kurzen Augenblick überlegte er. Sollte er wirklich alles erzählen? Die ganze Wahrheit? Wieder spürte er das Kruzifix in seiner Hand, und ein ungeheurer Verdacht stieg in ihm auf. Dann fasste er einen Entschluss. Er würde Othilia alles erzählen. Es würde sich erweisen, ob sie ihm Glauben schenkte, schließlich war die Wahrheit oft unglaubwürdiger als die dreisteste Lüge.
    »Alles begann mit dem ersten Sohn Eures Gatten, Gernot de Bruce«, berichtete er, »einem Heißsporn, der übermütig und hitzköpfig war, aber tapfer, und der von Konrad Wilhelmis im Zweikampf erschlagen wurde. Das ist nun mehr als acht Jahre her. Euer Gemahl wollte diese schändliche Tat rächen, Gernot war schließlich fast noch

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