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Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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versprochen.« Antonius deutete eine Verbeugung an. Er und seine Herrin saßen bereits auf ihren Pferden. Vor dem Flöttlinstor würden sie sich dem Zug eines Salzhändlers anschließen, der über Tübingen nach Frankfurt unterwegs war. Von Tübingen aus war es nicht mehr weit bis Reutlingen. Zudem konnte Katherina tatsächlich noch kurz ihre Schwester aufsuchen, sodass die Lüge ihrem Mann gegenüber nicht ganz so gewaltig ausfiel.
    »Gib du lieber acht auf deine Familie, mein Sohn«, sagte Katherina. Sie lächelte, doch ihre Stimme klang ernst. »Melissa ist seit Tagen blass und kränklich, du darfst sie nicht so viel arbeiten lassen!«
    Wendel warf einen raschen Blick auf seine Frau, die mit Gertrud auf dem Arm neben ihm stand. Sie sah wirklich krank aus, auch wenn sie nun leichtfertig abwinkte.
    »Ach was, Katherina«, sagte sie. »Mir geht es gut. Du weißt doch, dass es einen wunderbaren Grund für meine augenblickliche Schwäche gibt.«
    Katherina sah sie einen Moment schweigend an, dann sagte sie: »Nun denn, wir müssen los. Gehabt euch wohl. Auf bald, Wendel, auf bald, Melissa, auf bald, kleine Gertrud. Gott sei mit euch.«
    »Gott sei mit dir«, rief Wendel, doch seine Mutter und Antonius waren bereits losgeritten. Beim Waldtor drehte sie sich noch einmal um, hob die Hand zum Gruß, dann verschwanden sie und Antonius aus seinem Blickfeld.
    Wendel seufzte. »Es zerreißt ihr das Herz, dass sie nicht öfter bei uns sein kann.«
    Melissa reichte Gertrud an Selmtraud weiter und legte ihm die Hand an die Wange. »Es ist nicht deine Schuld. Dein Vater ist der Sturkopf. Er hätte dir längst vergeben sollen. Du hast eine Verlobung gelöst, nicht den Kaiser erschlagen.«
    Wendel musste gegen seinen Willen lächeln. Melissa besaß eine Art, Dinge auf den Punkt zu bringen, die er unwiderstehlich fand, auch wenn sie gänzlich unweiblich war. Ohnehin war sie anders als die meisten Frauen, die er kannte. Sie schwatzte nicht ohne Unterlass, war beherzt und vermochte im Weinlager besser zuzupacken als mancher Knecht. Hätte er nicht gewusst, dass sie aus einer angesehenen Augsburger Familie stammte, hätte er angenommen, dass es eine Zeit in ihrem Leben gegeben hatte, in der sie hart hatte arbeiten müssen. Er schüttelte den Kopf. Das konnte nicht sein. Die härtesten Tätigkeiten, die sie hatte verrichten müssen, waren wahrscheinlich das Besticken von Gewändern und das Flechten von Zöpfen gewesen.
    »Was ist? War ich zu vorlaut?«
    »Nein, Liebste.« Er nahm ihr Gesicht in die Hände und küsste sie auf die Stirn. »Ich dachte nur gerade, dass du wirklich sehr viel arbeitest. Vielleicht solltest du dich in den nächsten Wochen ein wenig schonen. Ihm zuliebe.« Er strich sanft mit den Fingern über ihren Bauch.
    »Ja, vielleicht.«
    Wendel legte den Arm um sie und wollte sie zurück ins Haus führen. Da ertönten vom Gramansbrunnen her Rufe. Ein wandernder Sänger hatte dort Position bezogen, und schon scharte sich eine neugierige Menge um ihn. Auch Wendel und Melissa traten näher an den Brunnen heran, der nur wenige Schritte von ihrem Heim entfernt vor dem Rathaus stand.
    Der Sänger hatte sein Lied bereits angestimmt.
    Hört die Geschicht’, die grausige,
    von dem mächtigen Grafen de Bruce.
    Wendel spürte, wie Melissa schauderte. Auch er erstarrte. War der Graf zurück? Ging jetzt alles von vorne los?
    Der Sänger fuhr fort:
    Von dem mächtigen, furchtlosen Grafen,
    den wilde Tiere kamen zu strafen.
    Was der Henker an ihm verfehlte,
    vollendete eine Bärin, die der Herrgott ihm schickte.
    De Bruce von einem Bären gerissen. Tot! Wendel wäre beinahe vor Erleichterung auf die Knie gefallen.
    »Er ist tot«, flüsterte er Melissa ins Ohr. »De Bruce ist tot! Das Ungeheuer ist vernichtet, dieses finstere Kapitel meines Lebens ist endgültig abgeschlossen.« Er drehte Melissa zu sich um. Sie blickte ernst drein, sagte nichts.
    »Freust du dich denn nicht, dass dieser Teufel endlich tot ist?«, fragte er.
    »Doch, Liebster, natürlich freue ich mich«, erwiderte sie tonlos, doch sie sah alles andere als froh aus. Im Gegenteil: Sie wirkte noch blasser als zuvor. Dunkle Ringe ließen ihre blauen Augen geisterhaft leuchten. Vielleicht war sie wirklich krank.
    »Komm mit ins Haus«, raunte er ihr zu. »Leg dich hin, ich bringe dir eine Stärkung ans Bett. Und dann stoßen wir darauf an, dass Ottmar de Bruce endlich seine gerechte Strafe ereilt hat.«
***
    Die Herrin hatte sich wie für einen Festtag herausgeputzt, und

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