Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
Vom Netzwerk:
wirklich gram. Der arme Kerl wurde zwischen den Felsbrocken seiner verschiedenen Loyalitäten zerrieben, weil er versuchte, drei Herren gleichzeitig zu dienen. Und Wendel würde nie vergessen, dass Antonius bereit war, sein Leben zu geben, um ihn zu beschützen. »Antonius wird dich ja davon unterrichtet haben, dass ich Melissa weggeschickt habe«, fuhr er fort. »Sollte sie in einen Mord verwickelt sein, und du bringst mir Beweise dafür, die jeder Prüfung standhalten, dann wird sie nie wieder einen Schritt über die Schwelle dieses Hauses setzen, und die Gerechtigkeit soll ihren Lauf nehmen, so schmerzhaft das für mich wäre. Solltest du jedoch keinen Beweis für ihre Schuld finden, dann werde ich sie suchen und heimholen, und dann möchte ich aus deinem Mund nie wieder ein schlechtes Wort über sie hören, Vater, ansonsten sind wir geschiedene Leute.«
    Wendel verstummte. Bis eben hatte er selbst noch nicht gewusst, was er tun wollte. Doch er spürte, dass er sich richtig entschieden hatte. Seine Mutter hatte Recht: Melissa hatte Schreckliches durchgemacht, und an dem, was aus ihr geworden war, trug nicht sie die Schuld, sondern Ottmar de Bruce. Wenn sie zurückkam, würde er ihr vergeben, mehr noch, er würde sie um Verzeihung bitten, weil er ihre Liebe verraten hatte. Sie mochte der Henker gewesen sein, der ihn gefoltert hatte. Aber sie hatte ihn auch unter Lebensgefahr aus dem Kerker befreit, weil sie es nicht hatte ertragen können, einen Unschuldigen leiden zu sehen. Was konnte edler, was konnte gottesfürchtiger sein? Er sah seinen Vater an. »Einverstanden?«
    Erhard Füger schluckte. Langsam nickte er. »Einverstanden, mein Sohn.« Er wandte sich zu seiner Frau. »Weib, willst du deinem Sohn weiter zur Seite stehen?«
    Wendel sah ihn erstaunt an. Er hatte seinen Vater unterschätzt. Indem er Katherina die Wahl überließ, ob sie in Rottweil bleiben wollte oder nicht, vermied er einen Machtkampf, den er nicht gewinnen konnte.
    Katherina nickte kurz.
    »Ein letztes Wort noch, bevor ich gehe, Wendel.«
    »Nur zu, Vater, du kannst sagen, was du möchtest.«
    »Bitte lass Antonius bei euch bleiben. Ich verspreche dir, dass er nicht …«
    »… dass er uns nicht weiter ausspionieren wird? Meinst du das?« Er wandte sich zu Antonius, der mit hochrotem Kopf dastand. »Antonius! Schwörst du bei deiner Seele, dass du meinem Befehl, und zwar meinem Befehl allein gehorchen und nichts tun wirst, was diesem Haushalt und den Menschen, die hier leben, schadet? Schwörst du mir und meiner Familie unverbrüchliche Treue bis in den Tod?«
    Antonius brach der Schweiß aus. »Ich …«
    Erhard erlöste den Diener von seinen Gewissensnöten. »Schwör es. Es ist recht so. Ich entbinde dich deiner Eide mir gegenüber.«
    Antonius hob die Hand. Seine Worte waren kaum zu verstehen. »Ich schwöre es, bei meiner Seele.«
***
    Konrad Sempach sah sich um. Alles war zu seiner Zufriedenheit hergerichtet. Die Werkzeuge lagen bereit, ein Krug Wein stand auf der Truhe, und das Mädchen hockte auf dem Bett und sah ihn mit großen Augen an. So jung war noch keines gewesen, ein richtiges Kind war es, süß und unschuldig.
    Sempach lief das Wasser im Mund zusammen. Doch er musste sich beherrschen. Diese ganz besondere Frucht wartete auf einen Kunden, der einen nicht unerheblichen Betrag dafür gezahlt hatte, dass man sie hier für ihn bereithielt. Nicht, dass er als Abkömmling einer der vornehmsten Familien von Esslingen auf das Geld angewiesen wäre. Er war mehr als wohlhabend und konnte sich jeden nur erdenklichen Luxus leisten. Doch das Heranschaffen der Ware war kostspielig: Lohn für die Handlanger, Unterbringung und Verpflegung der Mädchen und nicht zuletzt Schweigegelder mussten aufgebracht werden. Zudem hatte Sempach ein neues Versteck ausfindig machen und unauffällig herrichten müssen. Das war ihm in der Tat meisterhaft gelungen. Hier würde sie so schnell keiner aufstöbern.
    Die Kleine weinte leise. Tränen liefen ihr über das schmutzige Kindergesicht, ihre schmalen Schultern zuckten. Sempach betrachtete sie. Er hätte sie gern gelehrt, was ein richtiger Grund zum Weinen war, wie sich echte Schmerzen anfühlten. Einen Moment lang genoss er die Vorstellung, es einfach zu tun. Allein der Gedanke an eine solche Wonne ließ das Blut in seinem Unterleib pulsieren. Es gab durchaus Methoden, die keine Spuren hinterließen.
    Sempach steckte sich die Hand in den Mund und biss darauf, um sich zur Ordnung zu rufen. Er durfte nicht

Weitere Kostenlose Bücher