Die Tränen der Henkerin
Willms in Augsburg ausgestellt hatte, und reichte es von Kastelruth.
Der überflog es und legte dann die Stirn in Falten. »Nun, das ist in der Tat bemerkenswert«, sagte er vollkommen ruhig, was Erhards Puls weiter hochjagte. War dieser Mensch denn durch nichts zu beeindrucken?
»Das ist noch nicht alles, ehrenwerter Thomas von Kastelruth«, fuhr Erhard mit mühsam unterdrücktem Ärger fort. »Es gibt nicht nur keine Melissa de Willms, es gibt zudem einen falschen Merten de Willms, dessen Schwester zu sein sie vorgibt. Vor zwei Jahren trat ein Mann dieses Namens in meine Dienste. Ich brauchte gerade einen Schreiber, und er hatte hervorragende Referenzen. Doch dieser angebliche Merten de Willms hatte feuerrote Haare, während der Sohn des Herrmann de Willms, wie ich in Augsburg erfuhr, dunkelhaarig war. Der echte Merten de Willms starb, so heißt es, bei einem Überfall. Ich bin mir jedoch sicher, dass er von diesem verbrecherischen Geschwisterpaar ermordet wurde. Wie sonst sollte der falsche Merten an seine Dokumente gekommen sein?«
Endlich zeigte von Kastelruths Miene Betroffenheit. »Das ist ja grauenvoll!«, rief er. »Wo ist denn dieser Mord geschehen?«
»Offiziell war es ein Überfall auf einen Händlerzug bei Urach. Es wurde nie geklärt, wer dafür verantwortlich war.«
Von Kastelruth rieb sich das Kinn. »Habt Ihr mit Eurem Sohn gesprochen? Und mit Melissa? Was sagen die beiden dazu?«
Jetzt konnte Erhard einen weiteren Trumpf ausspielen. »Melissa ist verschwunden. Anscheinend hat sie den Braten gerochen.« Erhard atmete tief ein. Was er sagte, entsprach nicht ganz der Wahrheit, doch eine Lüge für einen guten Zweck würde der Herrgott ihm sicherlich verzeihen. »Und mein Sohn will von alledem nichts wissen, solange es keine Beweise gibt.«
Von Kastelruth lächelte dünn. »Die brauchen wir hier allerdings auch. Habt Ihr einen Zeugen, der Eure Geschichte bestätigen kann?«
»Ist das denn nötig?«, fragte Erhard. Es fiel ihm schwer, seine Wut im Zaum zu halten. Warum waren nur alle so blind und verbohrt? »Man muss doch nur eins und eins zusammenzählen, dann ist alles klar.«
»Ich fürchte, so einfach ist das nicht, Meister Füger. Eure Schwiegertochter ist eine unbescholtene Frau, die ebenso wie Euer Sohn hier in der Stadt hohes Ansehen genießt. Die beiden gelten als ehrlich, fleißig und gottesfürchtig.«
Erhard konnte ein verächtliches Schnauben nicht unterdrücken.
Von Kastelruth musterte ihn abschätzend. »Ihr habt keine sehr hohe Meinung von der Gemahlin Eures Sohnes.«
»Wie könnte ich?«, rief Erhard aufgebracht.
»Ihre Schuld ist nicht erwiesen«, sagte der Ratsherr ruhig. »Im Gegenteil. Alles, was ich von ihr weiß, spricht für ihre Unschuld. Dass sie einen falschen Namen angenommen hat, ist natürlich merkwürdig, aber dafür mag es viele Gründe geben. Ohnehin habt Ihr als Beweis dafür nur das Schreiben eines Ratsherrn aus Augsburg, dessen Namen ich nie zuvor gehört habe. Jedenfalls lässt sich diese Unannehmlichkeit mühelos mit einer Geldbuße aus dem Weg räumen, da bin ich ganz sicher.«
Erhard traute seinen Ohren nicht. Eine Geldbuße? Für eine Betrügerin, die Dokumente gefälscht hatte? Er öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch von Kastelruth war schneller.
»Versteht mich nicht falsch, Meister Füger. Wir nehmen solche Anschuldigungen nicht auf die leichte Schulter, aber wir stellen eine völlig untadlige Frau auch nicht für Vergehen vor Gericht, die wir nur vom Hörensagen kennen. Melissa Füger ist mir wohlbekannt, Euch sehe ich heute zum ersten Mal. Und bis jetzt habe ich von Euch nichts gehört, das ausreichen würde, um gegen Eure Schwiegertochter eine Klage wegen Mordes zu führen.« Er faltete die Hände und blickte Erhard eindringlich an. »War es nicht Euer Sohn, der um ein Haar wegen einer falschen Anschuldigung unter dem Henkerbeil gelandet wäre?«
Erhard brach der Schweiß aus. »Aber …«
»Ich erwarte, dass Ihr Euch zurückhaltet und nichts weiter in der Angelegenheit unternehmt«, sagte von Kastelruth scharf. »Sonst seid Ihr es am Ende, der vom Henker peinlich verhört wird. Der Rat der Stadt Rottweil wird Erkundigungen einziehen, über deren Ergebnisse Ihr zu gegebener Zeit unterrichtet werdet. Bis dahin haltet Ihr Euch zurück, Füger. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
Wut und Entsetzen rangen in Erhard miteinander. Warum nur sah niemand, was er sah? Und was für einen unverschämten Ton erlaubte sich dieser lächerliche
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