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Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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Überfall auf einen Handelszug in der Nähe von Urach von Raubrittern ermordet. Die falsche Melissa und ihr Bruder müssen Mitglieder dieser Bande sein.« Er sah Wendel eindringlich an. »Du schwebst in großer Gefahr, mein Sohn. Begreift du denn nicht? Sie hat dich verhext!«
    Wendel rauschte der Schädel. Zu viele verschiedene Geschichten hatte er heute schon gehört. Nichts passte zusammen. Oder doch? Melissa hatte immerhin zugegeben, Merten de Willms’ Dokumente an sich genommen zu haben, sie hatte ebenfalls von einem Überfall gesprochen, jedoch nicht von Mord. Was hatte sie noch gesagt? Sie war es gewesen, die sich als Merten ausgegeben hatte. Es gab keinen Zwillingsbruder, es gab nur sie. Konnte das sein? Der Schreiber Merten war Melissa gewesen? Er dachte an die seltsam raue Stimme des Schreibers, an die zarten Hände, die schlanke Gestalt. Nein, was das betraf, hatte Melissa sicherlich nicht gelogen.
    Er wandte sich an seinen Vater. »Ist das alles, was du gegen sie in der Hand hast? Das sind doch nur Mutmaßungen. Gibt es Zeugen? Gibt es eine Untersuchung der Stadt Urach zum Tod von Merten de Willms?«
    »Reicht dir das denn nicht, mein Junge?« Erhard Fügers Stimme klang flehentlich. »Sie hat dich belogen. Sie hat den Familiennamen eines Ermordeten angenommen. Wofür brauchst du weitere Beweise?«
    »Was, wenn Melissa Merten de Willms’ Habseligkeiten an sich genommen hat, als er schon tot war?«
    Erhards Augen verengten sich. »Hat sie das behauptet?« Er schien einen Moment zu schwanken. »Dann hat sie dir Lügen erzählt. Sohn! Siehst du denn nicht, was für eine hinterhältige Schlange sie ist? Dein Urteilsvermögen ist getrübt, weil du ihr verfallen bist.«
    Wendel spürte plötzlich eine tiefe Ruhe in sich. »Nein, Vater. Dein Urteilsvermögen ist getrübt, weil du glaubst, du könntest mich zurückzugewinnen, indem du sie beschuldigst, indem du ihr unterstellst, die Familie auseinandergerissen zu haben. Aber so war es nicht. Ich habe die Verlobung mit Engellin aus eigenem Antrieb gelöst. Weder Merten noch Melissa haben mich dazu überredet. Sie waren nicht einmal in Reutlingen, als ich es tat. Wenn du also jemanden hassen solltest, dann mich. Melissa hat mit unserer angeblichen Familienschande nichts zu tun.«
    Er brach ab, und eine Weile sprach niemand.
    »Wendel«, sagte Erhard schließlich. »Ich hasse diese Frau nicht, aber sie hat deinen Verstand getrübt und den aller anderen hier ebenfalls.«
    Katherina schnaubte empört. »Das ist ja wohl …«
    Auch Wendel konnte es nicht fassen. Wie stur war sein Vater? Wie blind? Hatte er ihm überhaupt zugehört? »Mein Verstand ist klar wie ein Bach im Frühling«, sagte er gelassen. »Deshalb sehe ich, was du nicht siehst: Der einzige Mensch, der dir deinen Sohn weggenommen hat, bist du selbst, Vater.«
    Erhard knetete seine Hände, Tränen schimmerten in seinen Augenwinkeln. »Ich möchte dich doch nur beschützen, mein Sohn. Ich habe Angst um dich. Diese … diese Frau hat ein dunkles Geheimnis, und sie ist nicht die, für die sie sich ausgibt. Du kennst ja nicht einmal ihren richtigen Namen.«
    »Du irrst dich. Ich kenne ihren Namen«, widersprach Wendel. »Sie heißt Melisande Wilhelmis und stammt aus Esslingen.«
    Erhard Fügers Kinnlade klappte herunter. Dann kniff er die Augen zusammen. »Wilhelmis, soso. Das ist in der Tat ein brillanter Schachzug von ihr.«
    Katherina trat zu ihrem Mann. »Kennst du nicht den Namen Wilhelmis? Erinnerst du dich nicht, was ihrer Familie widerfahren ist?«
    »Doch, ich erinnere mich gut«, erwiderte Erhard und lachte bitter auf. »Das ist es ja, was ich so brillant finde: Sie behauptet, jemand zu sein, den niemand kennen kann. Niemand wird widerlegen können, dass sie Melisande Wilhelmis ist. Die ganze Familie ist tot, der Überfall liegt viele Jahre zurück. Kein Mensch wird behaupten können, dass sie es mit Sicherheit nicht ist. Was für ein ausgefuchstes Weib!«
    Wendel verschlug es für einen Augenblick den Atem. »Gut, Vater«, sagte er dann. »Ich sehe, dass wir uns in dieser Angelegenheit nicht einigen können. Ich glaube nicht, dass Melissa eine Mörderin ist. Doch ich bin auch kein dummer Bauerntölpel oder geiler Junker, der sich von irgendeinem Weiberrock den Verstand stehlen lässt. Ich möchte die Wahrheit erfahren. Gleichgültig, wie schrecklich sie ist. Ich habe lange genug weggeschaut.«
    Er machte eine Pause und blickte zu Antonius, der bekümmert in der Ecke stand. Ihm war er nicht

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