Die Tränen der Justitia (German Edition)
andere Richtung. Der Anruf überrascht uns. Wieso nur haben die Entführer so lange mit ihren Forderungen zugewartet?»
«Wen interessiert das noch?! Wir bekommen unsere Lena zurück. Nur das zählt.»
«Ich möchte euch einen Rat geben. Wenn sich die Entführer wieder melden, verlangt unbedingt, dass die Übergabe Zug um Zug erfolgt. Das heisst Geld gegen Lena.»
«Sie versprechen uns also, dass Sie uns nicht beschatten und damit alles gefährden?»
«Wir werden nichts unternehmen. Aber bitte, seid vorsichtig. Wer skrupellos genug ist, ein Baby zu entführen, bei dem muss man mit allem rechnen.»
Nadine und der Kommissär fuhren schweigend ins Kommissariat zurück. Als Erstes bat Ferrari Big Georg zu sich ins Büro.
«Ich habe versprochen, dass wir die Familie Doppler nicht mehr abhören. Kannst du das bitte in die Wege leiten, Georg?»
«Okay, mach ich. Soll ich die Überwachung von Heller auch einstellen?»
«Noch nicht. Warten wir das Ergebnis der Geldübergabe ab.»
«Ihr glaubt nicht, dass der Anrufer Lena hat?»
«Im Augenblick weiss ich überhaupt nicht, was ich glauben soll und was nicht. Ich war so sicher, dass Heller hinter der Entführung steckt. Es würde zu ihm passen. Wie es sich jetzt entwickelt, ist absolut unlogisch. Heller würde doch nie auf einen fahrenden Zug aufspringen. Das ist nicht sein Stil.»
«Und wenn er sich mit Borer einfach einen teuflischen Spass erlaubt hat? Da ihn die Polizei sowieso verdächtigt, versucht er daraus Kapital zu schlagen. Er erpresst Borer, obwohl er nichts mit der Entführung zu tun hat, und versucht so, Trachtner freizukriegen. Clever wärs.»
«Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich bleibe dabei, Heller ist der Entführer.»
«Und wenn der Anrufer Heller war?»
«Auch das ergibt keinen Sinn. Er will Trachtner rausholen und Borer vernichten. Geld spielt für ihn keine Rolle. Sein einziges Ziel ist es, sich zu rächen.»
«Oder er will mit dem Anruf ablenken», wiederholte Nadine ihre Vermutung.
«Ja, vielleicht hast du recht», räumte Ferrari ein.
«Dann passen wir jetzt erst recht auf den Schweinehund auf!»
«Das ist ein Wort, Georg.»
«Auf wen wollen Sie aufpassen, Ferrari?»
«Auf Franz Heller. Oder spricht etwas dagegen, Herr Staatsanwalt?»
«Überhaupt nichts. Ich dachte schon …»
«Wir halten unser Versprechen, das sind wir Ihnen schuldig. Allerdings wäre es möglich, dass es sich beim Anruf um ein Ablenkungsmanöver handelt. Vermutlich ahnt Heller etwas.»
«Natürlich ist das möglich, doch wir können nicht pokern. Das Leben meiner Enkelin steht auf dem Spiel. Wir werden alles tun, was die Entführer sagen. Meine Frau und ich bürgen für die Million. Lukas ist jetzt auf dem Weg zur Bank. Ich hoffe, dass dieser Marcel Wiedmer das Geld sofort aushändigt. Die Zeit läuft unerbittlich.»
«So wie wir ihn kennengelernt haben, wird er dafür alle Hebel in Bewegung setzen. Wer soll das Geld übergeben?»
«Wenn vonseiten des Erpressers keine Forderung kommt, wird Josef der Überbringer sein. Vor ihm, entschuldigen Sie meine Offenheit, aber vor ihm muss sich niemand fürchten. Er rennt sicher dem Erpresser nicht nach … Ich möchte mich bei Ihnen für Ihre Unterstützung bedanken. Ich bin sehr froh, dass Sie unsere Aktion nicht behindern.»
«Ich hoffe, dass Sie das Richtige tun, Herr Staatsanwalt.»
«Das hoffe ich auch.»
Ferrari lief einmal mehr Runden in Nadines Büro. Wir können uns doch nicht dermassen täuschen. Alles, aber auch wirklich alles spricht gegen Franz Heller. Gegen ihn und einen unbekannten Komplizen. Oder sind wir Reto Geisser ins offene Messer gelaufen? Ist er Hellers Handlanger? Vielleicht haben die beiden ja realisiert, dass es keinen Sinn macht, weiter auf Borer einzuwirken, wobei unklar ist, woher sie diese Information hatten, und halten sich mit der Million schadlos.
«Willst du dich nicht setzen? Du kriegst noch einen Ich-laufe-um-den-Tisch-Koller.»
«Es geht einfach nicht auf. Warum meldet sich der Entführer erst nach neun Tagen?»
«Weil wir ihm im Nacken sitzen.»
«Na ja, er glaubt das vielleicht. Tatsache ist eine andere. Wir tappen im Dunkeln.»
«Vielleicht sind wir jemandem unbewusst auf die Füsse getreten.»
«Nicht, dass ich wüsste. Ausser Franz Heller. Der wusste genau, weshalb wir ihn aufsuchten.»
«Vielleicht durchkreuzten wir seinen Plan und er hat nun die Spielregeln geändert.»
«Was nicht seinem Denkmuster entspricht, aber es könnte sein. Letztendlich bleibt uns nur
Weitere Kostenlose Bücher