Die Tränen der Justitia (German Edition)
«Tragische Sache. Ich wollte mit ihm reden, aber das verschieben wir jetzt, bis wir uns in der Hölle wiedersehen.»
«Worüber wollten Sie sich mit ihm unterhalten?»
«Es laufen etwas sonderbare Wetten. Ein Freund aus Deutschland rief mich an. Er wollte von mir wissen, wie es mit dem BHC bestellt ist. Ich sollte einige Spiele nachprüfen, aber das ist im Nachhinein schwierig. Wir vereinbarten, dass er mich anruft, wenn wieder eine grössere Summe auf beziehungsweise gegen den BHC gewettet wird.»
«Sie meinen darauf, dass die Handballer verlieren?»
«Exakt. Am letzten Freitag informierte er mich, dass jemand zehn Riesen auf Niederlage gegen Thun wettete, bei einer Quote von fünf Franken für den, der mutig genug war, auf Thun zu setzen. Nicht die Welt, aber immerhin. Der BHC war klarer Favorit.»
«Das heisst, wer auf Thun setzte, erhielt fünf Franken bei einem Einsatz von einem.»
«Genau.»
«Und der BHC verlor. Wir haben uns das Spiel angesehen.»
«Ich auch. Meiner Meinung nach kommen nur zwei infrage, die in einen Wettbetrug verwickelt sein könnten: der Torhüter und die Nummer acht, oder beide.»
«Wer platzierte die Wette?»
«Das weiss ich noch nicht. Mein Kumpel hat noch nicht zurückgerufen. Sobald ich ihn erreiche, melde ich mich bei Ihnen.»
Ferrari gab ihm seine Visitenkarte.
«Vielen Dank für Ihre Hilfe. Auf Wiedersehen, Herr Lustig.»
Im Le Plaza tranken Nadine und der Kommissär einen Kaffee. Schon komisch, der Fall spielte sich hauptsächlich zwischen Römerhof und Rheingasse ab, mit Abstechern an den Schaffhauserrheinweg und die Schalerstrasse. Gut, da war noch der Tatort in der Grün 80, doch die Ermittlungen vor Ort waren ja längst abgeschlossen und leider wenig ergiebig.
«Glaubst du, dass es einen Zusammenhang mit den Wetten, der Entführung und dem Mord gibt?»
«Ich kann mir viel vorstellen, Nadine, aber das nicht. Wo ist da die Logik? Das Motiv?»
«Sinn ergibt es keinen. Es war nur so ein Gedanke … für einen kurzen Augenblick ging mir durch den Kopf, dass Josef Doppler wegen den Wetten ermordet wurde.»
«Hm. Beim besten Willen, ich sehe keine Verbindung. Zudem war der Match am Sonntag alles andere als eindeutig. Bis zur letzten Sekunde ging es hin und her. Alles war möglich. Wenn ich zum Beispiel als Torhüter das Spiel verlieren will, lasse ich vorher einige faule Eier rein. Ich warte doch nicht bis zur letzten Sekunde. Lustigs Theorie von Wettbetrug scheint mir etwas gar weit hergeholt.»
«Stimmt. Dann heisst unser Verdächtiger weiterhin Franz Heller. Was ist eigentlich mit Kaltenbach? Warum ermitteln wir da nicht weiter?»
«Der passt nicht ins typische Profil eines Entführers. Er ist ein Einzelgänger, ein totaler Sektierer. Ich glaube nicht, dass er sich an einem Baby vergreift. Zudem müsste er ja Lena irgendwo unterbringen und versorgen.»
«Es sei denn, er hat sie gleich umgebracht.»
«Das glaube ich nicht. Er ist ein Mörder aus Überzeugung.»
«So ein Quatsch!»
«Kaltenbach führt einen Krieg gegen die Unzucht. In seiner verworrenen Vorstellung rettet er so die Welt. Er würde doch nie und nimmer ein unschuldiges Kleinkind umbringen. Das meine ich mit Überzeugung. Glaub mir, mein Bauchgefühl täuscht mich nicht.»
«Okay. Was jetzt?»
«Solange Geisser noch nicht von Heller zurück ist, kommen wir nicht weiter. Ich schlage vor, dass wir Julia aufsuchen und schauen, wie es der Familie geht. Wir müssen nochmals die Abläufe vom Anruf bis zum Abend der Geldübergabe durchgehen. Vielleicht haben wir ja irgendetwas übersehen.»
Nadine weigerte sich, mit dem Tram zur Schalerstrasse zu fahren. Eine halbe Weltreise!
«Kommt überhaupt nicht infrage. Für heute habe ich von den Scheissträmli genug.»
«Wie du willst. Dann machen wir es gleich richtig.»
Ferrari humpelte vom Le Plaza die Clarastrasse hinunter zum Polizeiposten. Es dauerte nicht lange und die beiden wurden per Streifenwagen zur Schalerstrasse gefahren. Tja, es geht nichts über gute Beziehungen.
«Und? Zufrieden?»
«Nicht ganz. Die hätten mich fahren lassen sollen.»
Soweit kommts noch. Zudem, das hatten wir schon. Bei Nacht und Nebel mit Blaulicht, Sirene und hundertfünfzig vom Waaghof nach Riehen! Ferrari erinnerte sich nur ungern an dieses Erlebnis. Eine Wiederholung war absolut nicht nötig.
«Und wieso humpelst du plötzlich wieder? Ich dachte, es geht besser», setzte Nadine nach.
Der Kommissär seufzte und schwieg.
Julia zappte durchs Fernsehprogramm,
Weitere Kostenlose Bücher