Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
sich zufrieden, aber ihre gute Laune schwand sofort, als sie Richard in Arbeitskleidung in die Küche kommen sah.
»Gibt’s heute nichts zu essen, Atamie?«, fragte er – nicht vorwurfsvoll, sondern überrascht. Bisher hatte Atamarie stets etwas vorbereitet, wenn er vom Feld kam, egal, wie langesie selbst mitgearbeitet hatte. »Ich kann mir eben selbst was machen, aber sonst …« Richard schaute auf und bemerkte erst jetzt ihren Feststaat. »Wie siehst du denn aus?«
Atamarie schlug sich mit der Hand an die Stirn. »Das sollte ich eher dich fragen! Hast du’s vergessen? Heute Abend ist Erntefest. Wir gehen aus. Und dein Bruder meinte, es würde gegrillt. Also braucht keiner zu kochen. Aber umziehen solltest du dich. Und waschen. Mach, Richard! Sonst fallen wir auf …«
Richard runzelte die Stirn. »Du willst da hin?«, fragte er, sichtlich unwillig. »Ich hätte nicht gedacht, dass du …«
»… dich noch für etwas anderes interessierst als Motoren und Aufwinde?«, gab Atamarie zurück, jetzt doch etwas verärgert. Er hätte wenigstens etwas zu ihrem hübschen Kleid sagen können. »Doch, Richard, stell dir vor, ich gehe ganz gern tanzen. Ich ziehe mich gern hübsch an, und ich führe meinen Mann gern in der Öffentlichkeit vor. Sofern er sauber ist und ordentlich angezogen.«
»Ich dachte, wir gehen noch in die Scheune und bauen den Motor aus«, meinte Richard enttäuscht.
Atamarie griff sich an die Stirn. »Du willst an deinem Flugzeug rumschrauben, während die anderen feiern? Dann darfst du dich auch nicht wundern, wenn sie dich Cranky-Dick nennen! Mensch, Richard, der Motor läuft dir nicht weg! Aber die Musik spielt nur heute, heute können wir gut essen, tanzen, ein bisschen mit den Nachbarn plaudern – auch wenn wir uns zugegebenermaßen nicht viel zu sagen haben. Manchmal muss das einfach sein. Solange du hier lebst, musst du so tun, als ob du dazugehörst. Und so schrecklich ist das doch auch nicht. Im Gegenteil, wir werden Spaß haben! Also los, Richard, beeil dich! Ich kann ja in der Zeit schon mal anspannen. Hoffentlich mache ich mich dabei nicht dreckig …«
Tatsächlich gelang Atamarie das Kunststück, die Pferde einzuspannen, ohne anschließend nach Stall zu riechen, und auch Richard machte einen guten Eindruck, als er schließlich gewaschen und in seinem einzigen guten Anzug – Atamarie kannte das Kleidungsstück schon aus Taranaki – aus dem Haus kam.
»Na also!«, lachte Atamarie und schmiegte sich an ihn, nachdem sie neben ihm auf dem Bock des Leiterwagens Platz genommen hatte. Eine elegantere Chaise für Besuche oder Kirchfahrten besaß Richard nicht. Dieser kleine Luxus schien ihm nicht wichtig genug, um Geld dafür auszugeben. »Und jetzt lach auch mal! Es ist ein wunderschöner Abend, Richard! Schau, den Sternenhimmel – da ist Sirius … Ob wir da auch mal hinfliegen, Richard? Hinauf zu den Sternen?« Sie legte ihren Kopf an seine Schulter.
»Ich wäre schon froh, über den nächsten Hügel zu kommen«, bemerkte Richard. »Wo ist jetzt dieses Erntefest? Ich hab mir nicht gemerkt, wer dieses Jahr dran ist …«
Die Farmer in der Waitohi-Ebene organisierten das Erntefest reihum, jedes Jahr stellte ein anderer Farmer eine Scheune oder Remise zur Verfügung. Diesmal hatte Familie Hansley ihre Wagen und Erntemaschinen nach draußen geschafft, und die Frauen der Farmer waren den ganzen Tag damit beschäftigt gewesen, die Remise auszufegen und festlich zu schmücken. Atamarie gab es einen kleinen Stich, dass man sie nicht zur Mitarbeit gebeten hatte, aber natürlich war Richard einer der Letzten gewesen, die mit der Ernte fertig waren, und die Frauen mochten angenommen haben, dass ihre Arbeitskraft auf dem Hof gebraucht wurde. Atamarie beschloss also, die Sache nicht überzubewerten, und gesellte sich gleich zu den Frauen, um ihnen zu versichern, wie schön und einladend der Raum wirkte.
Dabei fiel ihr auf, dass sie mit ihrem Kleid und ihrer Frisur ziemlich aus dem Rahmen fiel. Alle anderen Farmersfrauen,auch Richards Mutter und seine Schwestern, trugen zwar Sonntagskleidung, aber doch dunkle, unauffällige Sachen, kein buntes Kleid wie Atamarie. Es gab hier noch keine Reformkleider, alle schnürten sich, und alle trugen ihr Haar züchtig aufgesteckt. Die älteren Frauen versteckten es teilweise sogar noch unter Hauben. Blumenschmuck entdeckte sie nur im Haar der ganz jungen Mädchen – Warnes kleine Freundin Martha mochte höchstens zwölf oder dreizehn Jahre
Weitere Kostenlose Bücher