Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
»Einen Namen? Bist du noch ganz bei Trost? Hör auf mit diesen Dummheiten. Es ist eine Maschine. Kein Hund oder Pferd!«
»Aber Schiffen gibt man auch Namen«, wandte Atamarie ein. »Und Zeppelinen. Die Leute sollen sich doch an dein Flugzeug erinnern, da wäre es schön, wenn ein Name in der Zeitung stünde.«
Sie biss sich auf die Lippen und verbot sich energisch den durch ihren Kopf geisternden Traum, Richard könnte das Flugzeug Atamarie oder wenigstens Sunrise nennen. Der schüttelte jedoch den Kopf.
»Kindischer Unsinn!«, erklärte er. »Und überhaupt, erst muss ich mal abheben, bevor irgendwas in der Zeitung steht. Lass mich fliegen, und dann kannst du es meinetwegen aller Welt erzählen!«
Richard ließ sich von dieser Ansicht nicht abbringen, erklärtesich aber immerhin bereit, das Experiment auf der öffentlichen Straße stattfinden zu lassen. Wenn auch nicht gleich mitten im Dorf, sondern etwas außerhalb, oberhalb seiner Farm. Er würde das Flugzeug von einem Hügel herabrollen lassen, nachdem der Motor gestartet worden war, und dann abheben, wenn es in Fahrt geriet. Atamarie glaubte, dass es so funktionierte, auch wenn sie Kleinigkeiten an der Konstruktion anders gestaltet hätte, auf die er nicht eingegangen war. In der letzten Zeit reagierte Richard wieder empfindlich auf Kritik, Atamarie wusste nie so recht, woran sie mit ihm war. Aber jetzt würde er ja endlich Erfolge feiern und schien auch entsprechend euphorisch. Obwohl Atamarie eher abgelenkt war, brachte er sie in der Nacht vor dem Tag des erneuten Flugversuchs von einem Höhepunkt zum anderen – wieder schien er ein anderer zu sein als der missmutige Zauderer der letzten Tage.
Und dann war der Tag endlich da. Atamarie und Richard nutzten den Morgen für letzte Tests, um die Mittagszeit schob Richard das Flugzeug tatsächlich bis hinauf zur Kreuzung vor der Schule, dem Platz, den Atamarie vorgeschlagen hatte. Der Unterricht war gerade zu Ende, und die beiden hatten mit den Schulkindern gleich ein dankbares Publikum. Allerdings fanden sich auch schnell weitere Zuschauer ein, als Richard die ersten Versuche machte, den Motor zu starten. Atamarie war entsetzt, als das nicht gleich funktionierte. Beim letzten Test war doch noch alles gut gegangen, jetzt röhrte die Maschine nur ein paar Mal unwillig auf, bevor sie wieder abstarb.
Atamarie stöhnte. »Was hast du für Kraftstoff reingetan, Dick? Eine neue Mischung? O nein, bitte nicht das, wir hatten uns doch geeinigt, dass wir keine Experimente mehr machen! Jetzt müssen wir die Zündkerzen noch mal reinigen. Soll ich?«
Etwas unglücklich sah sie an sich hinunter. Sie hatte sich für diesen denkwürdigen Tag ein schlichtes, aber doch sauberes hellgrünes Kleid mitgebracht. Ein Reformkleid, aber doch einevon Kathleens Kreationen, die ihre Figur betonte. Zu ihren Augen und ihrem blonden Haar sah es hübsch aus – und ein passendes Hütchen gehörte auch dazu. Atamarie würde also nicht allzu exotisch wirken, falls doch jemand ein Foto machte, und das Gerede der Nachbarn würde sich, so hoffte sie, in Grenzen halten. Nun sollte sich das an diesem Tag ohnehin auf Richards Flugversuch konzentrieren und nicht auf die Frau an seiner Seite, aber garantiert würde man trotzdem über sie reden, wenn sie Richards Triumph in einem ölverschmierten, zerknitterten Kleid miterlebte.
»Ich mach das schon!«, sagte Richard bestimmt.
Er klang fast etwas verärgert, als ob Atamaries Angebot ihn beleidigte. Dabei hatte sie oft genug Zylinder gereinigt und Ölwechsel für ihn vorgenommen. Sie konnte das genauso gut wie er, das mochte er seinen Nachbarn jedoch offensichtlich nicht vorführen. Von denen versammelten sich inzwischen immer mehr am Schauplatz des Geschehens, und auch die ersten Neckereien ließen nicht auf sich warten. Kein Wunder, denn Richard bastelte vor aller Augen an seinem Motor herum, während Atamarie sich in leichter Konversation versuchte. Es war unendlich peinlich, mit Peterson und Hansley über das Wetter zu reden, während Richard erkennbar nervöser wurde. Atamarie machte sich zudem Sorgen wegen des aufkommenden Windes. Er mochte das Verhalten des Flugzeugs beeinflussen, was war es schließlich mehr als ein von einem Motor unterstützter Lenkdrachen?
Atamarie überlegte, dass es wohl doch besser gewesen wäre, es nicht in Richtung Pearse-Farm, sondern genau in entgegengesetzter Richtung zu starten, aber das mochte sie Richard nicht mehr vorschlagen, er war schon angespannt
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