Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
nächsten Tag beschloss Atamarie, wieder nach Christchurch zu fahren und Dobbins von ihrem Abenteuer zu erzählen. Der Professorerwähnte mit keinem Wort ihr Fehlen während der Studienzeiten, im Gegenteil – er war überwältigt von Richards Erfolg.
»Das ist wirklich unfassbar!«, begeisterte sich Dobbins. »Und Sie hatten zweifellos auch Ihren Anteil daran, Miss Turei, leugnen Sie es nicht! Aber warum erfahre ich das eigentlich jetzt erst, wenn es schon letzten Dienstag war? Das hätte doch längst in der Zeitung stehen müssen! Mit Bildern möglichst. Hat jemand fotografiert? Man muss solche Dinge belegen, Miss Turei, aber das wissen Sie doch.«
Atamarie nickte und entschied dann, sich ihrem Lehrer anzuvertrauen und ihm ihr Herz auszuschütten. Sie schilderte ihm Richards Sorgen vor dem Flug, seine Unfähigkeit, den Triumph auszukosten – und ertappte sich schließlich dabei, dem Professor auch von den Stimmungsschwankungen und den familiären Problemen ihres Freundes zu erzählen.
Dobbins zuckte nur die Schultern. Er war Techniker, kein Seelsorger. Allerdings schienen Richards Probleme auch ihm nicht entgangen zu sein.
»Pearse war schon immer … na ja, er neigte zu Melancholie«, bemerkte der Professor zu Atamaries Überraschung, als sie noch einmal Richards seltsame Reaktion auf seinen Flugversuch erwähnte. »Soll es öfter geben bei Genies, solche Selbstzweifel und dann wieder Höhenflüge. Und ein Genie ist er, ohne Frage! Da wäre vielleicht auch die Familie gefragt. Oder die … Verlobte? Ich will nicht indiskret sein, aber Sie sind doch ein Paar, nicht wahr? Sie müssen ihn immer wieder auf die Erde zurückbringen, Miss Turei, beziehungsweise in diesem Fall in die Luft! Er muss das noch mal machen, Atamarie! Der Flieger wurde nicht allzu sehr beschädigt, sagten Sie? Und wenn doch, dann muss er ihn reparieren und vor den Augen der Welt einen neuen Versuch starten – nicht nur vor ein paar Hinterwäldlern in der Waitohi-Ebene! Alarmieren Sie die Presse, aber auf keinen Fall die Timaru Times oder wie das Käseblatt da heißt,sondern The Press in Christchurch, Otago Daily Times und am besten auch gleich die Zeitungen in Wellington und Auckland. Sie wissen doch jetzt, dass der Apparat abhebt, also ist kein Risiko dabei, die Reporter alle kommen zu lassen. Machen Sie ein Ereignis daraus, Atamarie, bevor Ihrem Richard noch jemand zuvorkommt. Motorisierter Flug liegt …«, Dobbins lachte, sprach aber dennoch eindringlich weiter, »… im wahrsten Sinne des Wortes in der Luft. Da arbeiten noch andere dran. Also schnappen Sie sich Ihren Liebsten und dokumentieren Sie, dass er der Erste war!«
Atamarie seufzte. Sie sah in das strahlende Gesicht ihres Professors und dachte doch nur an Richards leere Augen. Ich bin nicht geflogen …
Wie sollte sie ihn da vor die Weltpresse ziehen?
Atamarie ließ ein weiteres Wochenende vergehen, bis sie wieder nach Timaru fuhr. Sie wusste nicht, wie lange es dauerte, bis ein Schlüsselbeinbruch heilte, aber eine schwere Verletzung war es nicht. Richard würde sicher wieder auf seiner Farm sein. Wenn ihn seine Eltern nicht auf die ihre geholt hatten, um zu genesen. Sicher hatte seine Mutter sich um ihn kümmern wollen. Atamarie machte sich also auf eine erneute Enttäuschung gefasst, auf keinen Fall wollte sie eine Konfrontation mit Richards Familie. Im Zweifelsfall würde sie einfach wieder umkehren und gleich mit dem Nachtzug zurückfahren. Zur Sicherheit wollte sie wieder ein Zimmer in Timaru nehmen – und war überrascht, als sich das als gar nicht so einfach herausstellte.
»Ich kann Ihnen nur noch ein ziemlich ungemütliches Gelass anbieten, Miss Turei«, erklärte die Wirtin der Pension, in der Atamarie gewöhnlich abstieg. Sie war freundlich und diskret – und hatte nie ein Wort darüber verloren, dass Atamarie die meisten Nächte, für die sie bezahlte, gar nicht auf ihremZimmer verbrachte. »Das wage ich auch nur, weil Sie mittlerweile ja eine Art … hm … Stammkundin sind, ich möchte Sie nicht wegschicken. Aber dieses Wochenende hätten Sie vorbestellen müssen. Es ist Jahrmarkt mit Landwirtschaftsschau, Sie wissen schon, da prämieren sie alles, vom besten Zuchtbullen bis zum größten Kürbis. Sämtliche Farmer der Umgebung sind hier, und wer weiter weg wohnt, leistet sich auch mal ein Zimmer.«
Timaru war das Zentrum eines Landkreises, der bis zu dem fast dreißig Meilen entfernten Ort Waimate reichte. Für einen Tag lohnte es sich kaum,
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