Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
mitunter prüfende Blicke auf die junge Burin, die sich ebenso unzugänglich gab. Der Reverend, der Colin erst mit über zehn Jahren kennengelernt hatte, bemerkte nichts, er versuchte nur, Doortje aus ihrer Reserve zu locken. Immerhin kannte er das Alte Testament ebensogut wie das Neue und fand reichlich Belege dafür, dass Gott Musik, gutes Essen und Wein nicht verbannt hatte. Das könne man auch auf schöne Kleider beziehen, behauptete er, und schließlich willigte Doortje ein, sich von Kathleen zeitgemäß ausstatten zu lassen.
Kevin durfte dabei gar nicht an sein Bankkonto denken. Die überbescheidene Doortje würde ihn letztlich genauso teuer kommen wie die mondäne Juliet. Wozu ihm sein Bruder wieder einfiel, aber das Problem war vorerst aufgeschoben. Patrick war auf den Schaffarmen Otagos unterwegs, und Kevin hatte auch seine Tochter May noch nicht gesehen.
Am nächsten Tag suchte er dann erst einmal Kathleen und Claire in Lady’s Goldmine auf und erklärte die Sache mit Colin Coltrane – natürlich in stark abgeschwächter Form. Kathleen nahm die Nachricht von der Vergewaltigung empört, die Vermisstenmeldung aber gelassen auf. Colin hatte auch vorher jahrelang nichts von sich hören lassen, und er musste schließlich nicht tot sein. Zweifellos hatte er Gründe gehabt, unterzutauchen.
»Ich bedauere das natürlich sehr für die junge Frau«, sagte Kathleen schließlich. »Ich schäme mich für meinen Sohn. Und ich habe große Hochachtung vor dir, dass du das Kind als das deine aufziehen willst. Aber es ist dir doch klar, dass es Schwierigkeiten geben wird? Gut, vor der Gesellschaft lässt sich alles erklären. Ich werde nicht jünger, in ein paar Jahren wird niemandem mehr auffallen, dass der Kleine nach mir und meinem Sohn kommt. Aber deine Frau willst du auch im Unklaren lassen? Wie erklärst du ihr die Ähnlichkeit mit Atamarie – die ist schließlich auch Colins Tochter? Und die Namensgleichheit Colins mit Heather und Chloé? Willst du sie belügen?«
Kevin zuckte die Achseln. »Atamarie ist ja erst mal fort«, murmelte er. »Sie studiert doch in Christchurch, oder?«
Kathleen verdrehte die Augen. »Sie kommt oft zu Besuch, und bis der Kleine alt genug ist, dass jeder die Ähnlichkeit sieht, hat sie ihr Studium beendet. Und dann? Du solltest deiner Doortje alles erzählen. Es ist ja schließlich kein Verbrechen, mit Colin verwandt zu sein, vielleicht hilft es ihr sogar, sich mit Matariki und Chloé auszutauschen. Colin hat schließlich allen übel mitgespielt. Und wenn sie mich hasst, weil ich seine Mutter bin, dann kann ich daran eben nichts ändern …«
Kevin biss sich auf die Lippe. Kathleen hatte Recht, wenn die Sache mit Colin das einzige Problem zwischen ihm und Doortje gewesen wäre, hätte es sich so lösen lassen. Aber es gab ungleich mehr, das nicht in Ordnung war, und das Letzte, was er wollte, war, Doortje jetzt noch weiter zu beunruhigen. Auch noch Monate nach der Geburt war die junge Frau verschlossen und einsilbig und lehnte körperlichen Kontakt ab. Wobei Kevin natürlich einsah, dass sie nach der Geburt Ruhe bedurfte und dass ihre junge Beziehung Zeit brauchte, um sich zu entwickeln. Aber wenigstens ein Kuss ab und zu … eine zärtliche Berührung, ein Streicheln … Kevin sehnte sich nach einem Zeichen von Gefühlen – Gefühlen, die Doortje in Afrika sicher für ihn gehegt hatte. Er hatte sich das Aufkeimen dieser Liebe doch nicht eingebildet, ihre Anschmiegsamkeit nach Coltranes Tod, als die Spannung einmal von ihr abfiel …
Aber jetzt war davon nichts mehr zu merken. Doortje blickte nur nervös und angespannt in die neue Welt, in die er sie entführt hatte, und in der vieles allem zuwiderlief, was sie bisher gelernt und gekannt hatte. Nandé schien sich besser zurechtzufinden als sie – sie plauderte schon ganz vergnügt mit anderen Hausmädchen und Knechten. Kevin graute vor dem Tag, an dem sie feststellte, dass all diese Leute Lohn erhielten. Ein weiterer Kostenfaktor.
»Ich denke drüber nach, Miss Kathleen«, meinte er schließlich artig. »Aber bitte, sagen Sie vorerst nichts. Sie darf Sie auf keinen Fall hassen, bevor Sie ihr beigebracht haben, wie man sich in Dunedin anzieht!«
Kathleen und Claire verkauften Doortje schließlich schlichte Reformkleider aus der letztjährigen Kollektion, was den Einkauf billiger machte. Die weiten, ohne Korsett getragenen Kleider kamen gerade wieder aus der Mode. Die sogenannte S-Linie bestimmte die Silhouette der
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