Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
dachte zum wiederholten Mal, was für wunderhübsche Enkelkinder ihr da beschert worden waren. Sie wäre hochzufrieden gewesen – würden sich nur die Mütter der Kinder als ein bisschen weniger gewöhnungsbedürftig erweisen. Lizzie dachte nach wie vor mit Grausen an Juliet – ihrer Ansicht nach war ihre Flucht das Beste, was Patrick hatte passieren können. Auch wenn der immer noch mit seinem Schicksal haderte. Patrick Drury war nicht mehr er selbst, seit ihn Juliet verlassen hatte. Er sorgte zwar vorbildlich für seine »Tochter«, die ja eigentlich seine Nichte war, aber er blieb enttäuscht und deprimiert. Dabei hätte er doch eigentlichwissen müssen, dass Juliet ihn nicht liebte – Lizzie zweifelte sogar daran, dass sie Kevin ehrliche Zuneigung entgegengebracht hatte, aber die beiden hatte doch wenigstens irgendetwas verbunden.
Lizzie machte sich langsam Sorgen um ihren jüngeren Sohn. Patrick hatte immer etwas in Kevins Schatten gestanden – Kevin, der ganz nach seinem Vater kam, war zweifellos die schillerndere Persönlichkeit der beiden, und selbst Lizzie konnte ihrem Ältesten kaum widerstehen, wenn er mit strahlendem Blick und wehendem, lockigem schwarzen Haar bis kurz vor ihre Haustür galoppierte und seinen Schimmel erst im letzten Moment verhielt. Sie fühlte sich dann stets an Michael erinnert, seinen Stolz auf das erste eigene Pferd, als er endlich zu bescheidenem Wohlstand gelangte, aber auch seine Neigung zum Leichtsinn und zur Sprunghaftigkeit. Patrick dagegen kam eher nach Lizzie. Sein Äußeres war unscheinbar, aber er war langmütig, freundlich und verlässlich. Leider fehlte ihm die harte Schale, die Lizzie in ihrer Jugend in London und in der Verbannung in Tasmanien zwangsläufig entwickelt hatte. Zu leicht hatte ihm Juliet das Herz brechen können. Lizzie konnte nur hoffen, dass er irgendwann darüber hinwegkam.
Und nun Kevin mit dieser Doortje … ein Mädchen, das er wirklich zu lieben schien. Mit aller Dickschädeligkeit, die Lizzie noch gut von seinem Vater kannte. Es hatte viele Jahre gedauert, bis Michael die Aussichtslosigkeit seiner Jugendliebe zu Kathleen einsah … Und Kevin war es ja nun immerhin gelungen, seine Doortje zum Altar zu bewegen. Ob die Ehe allerdings glücklich war? So wie die beiden miteinander umgingen, fragte Lizzie sich immer wieder, wie hier ein Kind hatte entstehen können. Aber vielleicht war sie ja auch nur voreingenommen. Das junge Paar lebte jetzt seit einigen Tagen auf Elizabeth Station, aber Lizzie schaffte es einfach nicht, mit ihrer neuen Schwiegertochter warm zu werden. Dabeiwar Doortje das genaue Gegenteil von Juliet. Sie interessierte sich für alles, was auf der Farm vor sich ging, und sie war auch nicht faul – nur ihre Sorge für Abe ließ manchmal zu wünschen übrig, wie Lizzie fand. Doortje schien es für Erziehung zu halten, wenn sie das Baby ab und zu schreien ließ, bevor sie es stillte, obwohl sie da war und verfügbar. Lizzie tat das in der Seele weh, Doortje beschied sie jedoch, dass der Junge sich rechtzeitig an Entbehrungen gewöhnen müsse.
»Aber doch nicht gleich in den ersten sechs Monaten!«, wandte Lizzie ein.
Doortje war allerdings nicht umzustimmen. Wie sie überhaupt in vielen Dingen felsenfester Überzeugung war, die andere nicht verstanden und ihr nicht auszureden vermochten. Und sie ließ sich niemals gehen. Lizzie war in ihrem bewegten Leben nie einer Frau begegnet, die derart beherrscht war, obwohl sie offensichtlich ständig unter Anspannung stand. Irgendwann musste ein Vulkan ausbrechen, und Lizzie graute schon davor.
»Kann ich irgendwie helfen?«
Eine freundliche, helle Stimme mit sonderbarem Akzent unterbrach Lizzies Überlegungen. Wieder einmal war es Nandé gelungen, völlig lautlos ins Haus zu kommen, das schwarze Mädchen lief immer barfuß und bewegte sich geschmeidig wie eine Katze.
Lizzie lächelte ihr zu. Von allen weiblichen Wesen, die in den letzten Jahren in ihrem Haus Quartier bezogen hatten, war ihr Nandé mit Abstand das sympathischste. Nandé war hilfsbereit und lernwillig, ihr Englisch verbesserte sich ständig, und sie war immer ausgeglichen und schien zufrieden. Mit großen staunenden Augen blickte sie in die neue Welt, die ihr eigentlich noch viel fremder sein musste als ihrer Herrin. Herrin … Lizzie schüttelte sich allein bei dem Gedanken an das Wort, aber sie weigerte sich auch, die Anrede Baas, die NandéDoortje gegenüber immer noch benutzte, wohlwollender zu übersetzen.
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