Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
hervorragender Arzt. Allerdings hatte Michael stets Lizzie gebraucht, um mit Problemen fertig zu werden – und Kevin war nie mit echten Hindernissen auf seinem Weg konfrontiert worden. Lizzie und Michael hatten sein Studium finanziert, die Dunediner Gesellschaft nahm ihn wohlwollend auf – bislang hatte Kevin niemals um etwas kämpfen müssen. Und auf diesem langen, deprimierenden Ritt durch den Regen wurde ihm klar, dass er das auch in Zukunft weder wollte noch konnte. Zumindest nicht im eigenen Haus und mit seiner eigenen Frau.
Der Regen ließ erst nach, als Kevin Dunedin erreichte. Als er Caversham durchquerte, hob sich seine Laune fast ein wenig. An sich ein nettes Viertel, Reverend Burtons Pfarrsprengel. Er konnte sich hier durchaus eine Praxis vorstellen – und Atamaries hübsche Freundin hätte es dann noch sehr viel näher, wenn eins ihrer Schulkinder Nasenbluten bekam … Kevin hätte fast gelächelt, aber dann stellte er sich Juliet in einem dieser Cottages vor, beim Kochen oder bei der Gartenarbeit … nein, es war undenkbar. Er konnte diesen Kampf nicht ausfechten. Vielleicht jedoch einen anderen.
Kevin schoss ein aberwitziger Gedanke durch den Kopf, als er ein tristes Gebäude passierte, dessen Büroeingang allerdings mit bunten Fahnen Englands und Neuseelands geschmückt war: REKRUTIERUNGSBÜRO DUNEDIN . Trotz des schlechten Wetters warteten drei Männer vor dem Eingang, das Büro hatte wohl noch nicht geöffnet. Kevin rief ihnen einen Gruß zu.
»Freiwillige für den Krieg am Kap?«, erkundigte er sich.
Die Männer – ihre schlichte Kleidung und ihre karierten Schiebermützen wiesen sie als Arbeitersöhne aus – grinsten ihm zu und salutierten. »Jawohl, Sir!«
»Wenn sie uns nehmen …«, schränkte einer von ihnen ein.
Kevin dachte kurz darüber nach, was er über die neuesten Entwicklungen im Burenkrieg wusste. Die Kampfhandlungen hatten am 12. Oktober begonnen, aber Neuseeland hatte schon nach der aufrüttelnden Rede des Premiers begonnen, Freiwillige zu rekrutieren. Man hatte dann auch bald die ersten zweihundertfünfzehn Mann in Marsch gesetzt, nachdem das Verteidigungsministerium alle Anstrengungen gemacht hatte, das zugehörige Equipment, Trossfahrzeuge und Pferde zusammenzustellen. Schließlich hatte sich das Land mit Australien ein Ocean Race geliefert – jedes der Länder wollte den Engländern am Kap als Erstes zu Hilfe eilen. Neuseeland hatte knapp gewonnen, am 23. November waren die Schiffe in Kapstadt eingetroffen. Die Truppen waren dann gleich nach Norden geschickt worden und hatten Anfang Dezember zum ersten Mal gekämpft. Seitdem hielten sie sich wacker trotz schwerer Gefechte. Und nun stellte auch die Südinsel Truppenkontingente zusammen, nachdem die ersten Freiwilligen von der Nordinsel aus verschifft worden waren. In den nächsten Tagen sollte ein Truppentransporter von Lyttelton aus ablegen, mit einem von reichen Christchurcher Bürgern aufgestellten und finanzierten Regiment. Dunedin wollte sich nicht lumpen lassen, auch hier warb man gezielt Freiwillige an.
Im Rekrutierungsbüro regte sich nun etwas, jemand zog Jalousien hoch, und gleich darauf öffnete sich die Tür von innen.
Kevin überlegte nicht lange. Vielleicht eine verrückte Idee, häuslichen Kämpfen mit der Flucht in einen wirklichen Krieg entkommen zu wollen – aber im Moment der einzige Ausweg, der sich ihm bot. Außer seinen Eltern wusste bislang niemand von seiner Vaterschaft – Juliet konnte so tun, als habe sie die Schwangerschaft erst bemerkt, als Kevin bereits weg war. Kevin würde nicht als Schuft gelten, weil er sie verlassen hatte. Und Juliet – nun, einer Soldatenbraut vergab die Gesellschaftzweifellos eher einen Fehltritt als einer Lebedame. Man würde dann ja sehen, ob sie auf ihn warten wollte oder ob sich vielleicht noch ein anderer Vater für das Kind fand. Kevin jedenfalls wollte darüber vorerst nicht nachdenken.
Entschlossen betrat er das Rekrutierungsbüro.
KAPITEL 6
Kevins Einberufung zu den Otago Mounted Rifles vollzog sich verblüffend einfach. Schon als der junge Mediziner seinen Beruf nannte, leuchteten die Augen des Offiziers, der die Rekruten einer ersten Musterung zu unterziehen hatte, auf.
»Ärzte brauchen wir immer!«, erklärte er strahlend. »Können Sie zufällig auch schießen?«
Kevin zog die Brauen hoch. »Ich komme von einer Schaffarm, Sir«, antwortete er gelassen. »Da kann jeder schießen.«
Bis vor wenigen Jahrzehnten war das nicht
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