Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
unbedingt zutreffend gewesen, damals hatte kaum einer der pakeha - oder Maori-Viehhüter ein Gewehr getragen. Warum auch, Viehdiebe waren selten und niemals so dumm, dass sie sich auf ein Gefecht einließen, und jagdbares Wild gab es kaum. Vor Ankunft der Weißen hatte es in Neuseeland überhaupt keine Säugetiere gegeben außer den Hunden der Maori und einer Fledermausart. Die in den Ebenen heimischen Vögel waren eher träge, man fing sie in Fallen oder sammelte nachtaktive Exemplare während des Tages einfach ein. Dann aber brachte irgendein Schiff die ersten Kaninchen auf die Südinsel, die sich mangels natürlicher Feinde schnell zu einer Plage entwickelten. Kaninchenfleisch beherrschte seitdem den Speiseplan auf den Farmen und bald auch in den Maori-Dörfern – und jeder acht- bis zehnjährige Junge lernte, die Tierchen mit einem Schuss zu erlegen.
Der Sergeant nickte denn auch. »Reiten?«, fragte er hoffnungsvoll.
Kevin lächelte und wies auf seinen vor dem Büro angebundenen hochbeinigen Schimmel. »Mein Pferd meldet sich ebenfalls zum Dienst.«
Die Unterzeichnung der Papiere war dann nur noch eine Formsache. Man sammelte die Mounted Rifles in einem Camp bei Waikouaiti und kleidete sie ein – erstmalig in Khaki, Kevin grinste in sich hinein. Zumindest konnte sein Vater Michael ihm nicht vorwerfen, zu einem der im alten Irland verhassten Rotröcke geworden zu sein, wie man das englische Militär bislang genannt hatte. Die moderne Kriegführung verlangte Tarnkleidung, und Kevin bemerkte verblüfft, dass man in den neuen, an sich wenig kleidsamen Uniformjacken und -hosen buchstäblich mit der Umgebung verschmelzen konnte. Anschließend erhielten die Männer eine recht flüchtige Grundausbildung, an deren Ende sie ihre Offiziere selbst wählten – eine gängige Praxis in Freiwilligenregimentern. Kevin, als frischgebackener Stabsarzt, avancierte sofort zum Captain. Und dann ging es auch sehr schnell aufs Schiff – zwischen Kevins Meldung und seiner Einschiffung vergingen keine drei Wochen. Nun reichte ihm das aber auch schon, um sich wie auf Kohlen zu fühlen. Er war nur noch einmal kurz in seine Wohnung zurückgekehrt, um einige wenige persönliche Sachen zu holen und kurz mit seinem Teilhaber zu sprechen. Kevin erwies sich hier als sehr großzügig. Sollte Christian die Praxis haben – wenn er zurückkehrte, würde er sowieso neu anfangen. Als Bedingung bat er sich das Stillschweigen seines Freundes aus.
»Ich schreibe meiner Familie, sobald ich auf See bin, keine Sorge. Aber jetzt … ich … ich möchte das mit diesem Krieg nicht diskutieren. Ich brauche einfach … etwas Zeit für mich.«
Christian Folks lachte. »Du ziehst sozusagen in den Krieg, um allein zu sein? Interessante Idee. Aber musst du wirklich gleich ans Ende der Welt flüchten, nur um dieser Juliet zu entgehen? Mensch, und ich hab dich um sie beneidet!«
Folks selbst war kein geeignetes »Opfer« für Juliet. Er hatte gleich nach dem Studium eine Jugendfreundin geheiratet.
»Sie hat ihre Qualitäten«, sagte Kevin kryptisch. »Aber manchmal … zum Teufel, ich will nicht drüber reden. Halt einfach drei Wochen die Klappe, ja? Egal, wer dich fragt. Sag einfach, ich … sag von mir aus, ich wandere mit den Maori …«
Christian tippte sich an die Stirn. »Die wandern im Sommer, Kevin, jetzt ist Herbst. Und deine Mutter glaubt mir das ohnehin nie. Mit welchem Stamm solltest du denn unterwegs sein?«
Lizzie und Michael lebten in hervorragender Nachbarschaft zum Stamm der Ngai Tahu, und als Jugendliche waren Kevin und Patrick wirklich manchmal mitgezogen, wenn die Maori wanderten. Der Stamm aus Lawrence tat das allerdings nur selten und nie mit der gesamten Bevölkerung. Der Hauptgrund für längere Wanderungen von Maori-Stämmen war Hunger. Wenn die Vorräte vom letzten Jahr aufgebraucht waren, zogen die Stämme in die Berge, um zu fischen und zu jagen. Die Ngai Tahu in Tuapeka hatten das jedoch nicht nötig. Sie hatten ihre Felder und ihre Schafzucht, und in sehr schlechten Jahren schürften sie einfach etwas Gold. Die Goldvorkommen in dem Fluss bei Elizabeth Station waren ein gut gehütetes Geheimnis zwischen den Drurys und den Ngai Tahu.
»Dann sag was anderes, mir ist es gleich. Solange mich bloß alle in Ruhe lassen!«
Kevin umarmte seinen Freund noch einmal kurz und verließ dann die Praxis. Er war nicht unglücklich darüber, inzwischen lockte ihn das Abenteuer.
Lizzie und Michael Drury erfuhren zunächst nichts
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