Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
von der Männerrunde trennte und zu den anderen Frauen entführte. Doortje schien aufzuatmen, dann jedoch, als die Kreolin auf ihre Gruppe zusteuerte, wurde sie sichtlich nervös.
»Dorothy! Wie nett, Sie auch mal wieder zu treffen. Und diesmal ganz erwachsen gekleidet. Aber zwängt das nicht Ihr kleines Herz ein, das Korsett, meine Liebe?«
Doortje zuckte die Achseln. Und sorgte mit ihrer Entgegnung für eine Überraschung.
»Wir Buren«, bemerkte sie, »sind ziemlich zäh. Wir haben schon anderes überstanden als ein paar Schnüre und ein paar Sticheleien. Vor allem geben wir niemals auf, Juliet.« Sie wartete ein paar Augenblicke, um ihre Worte wirken zu lassen. Dann fuhr sie fort – und bewies, dass sie nicht nur ihr Benimmbuchstudiert hatte, sondern auch den Zauberer von Oz . »Und übrigens erschlägt Dorothys Haus die Hexe des Ostens, und später vernichtet sie auch noch die Hexe des Westens. Also sehen Sie sich vor, Juliet. Wo liegt noch mal New Orleans?«
Doortje blitzte ihre Schwägerin an, wandte sich auf dem Absatz um und ging zu Claire Dunloe und Kathleen Burton hinüber. Juliet blieb wortlos zurück.
Heather, Chloé und Roberta schauten einander verblüfft an, dann lachten sie los.
»Und ich hab Kevin nie geglaubt, dass ihn die Hübsche mit dem Gewehr bedroht hat!«, kicherte Heather und wandte sich an die Kreolin. »Sie sollten wirklich aufpassen, Juliet, sie schießt scharf!«
Chloé Coltrane sah Juliet nachdenklich nach, als die sich mit falschem Lächeln verzog. Und bewies, dass sie trotz ihrer Ausführungen über den Rennsport mit halbem Ohr auf Heathers und Robertas Unterhaltung gelauscht hatte.
»Du hast Recht, Roberta, irgendwas ist da faul«, murmelte sie. »Die zwei zanken sich um Kevin, und Juliet ist verdammt siegessicher! Die kleine Burin holt zwar auf – aber habt ihr gesehen, wie Kevin Juliet anschaut? Ich fürchte, Doortje hat schon verloren.«
ERWACHEN
Nordinsel
Parihaka, Auckland
Südinsel
Dunedin, Christchurch,
Temuka
1904
KAPITEL 1
»Atamarie, so geht es nicht weiter, du kannst dich nicht bis in alle Ewigkeit hier vergraben!«
Der Vollmond stand wieder einmal leuchtend über Parihaka, ließ das Meer silbrig glänzen und tauchte den Mount Taranaki in ein gespenstisches Licht. Eine Priesterin führte eine Vollmondzeremonie durch und flehte um den Segen der Göttin Hine-te-iwaiwa für die schwangeren Frauen des Dorfes.
Matariki hätte sich gern zu den Kindern gesetzt und ihnen von den Mondphasen erzählt – die wissenschaftliche Erklärung, soweit sie sie kannte, aber auch die Maori-Mythen um den Erdtrabanten und seine Bedeutung für die Orientierung der Polynesier auf See. An diesem Tag jedoch mochte sie sich der traumverlorenen und festlichen Stimmung der Vollmondnacht nicht ergeben. Sie musste mit Atamarie sprechen. Das hatte sie sich vorgenommen, und das würde sie jetzt auch tun.
Die Runde, in der Atamarie saß, bestärkte sie dann in ihrem Entschluss. Ihre Tochter hockte mit Studenten der Medizin zusammen, aber auch mit jungen Leuten, die sich um spirituelle Deutung von Krankheiten und Absonderlichkeiten bemühten.
»Es kann mit dem Mond zusammenhängen?«, fragte Atamarie gerade. »Also, gemerkt habe ich da nie was …«
»Aber es hat bestimmt einen Grund, dass ›Verrückte‹ auf Englisch lunatics heißen«, bemerkte Makutu, eine traditionelle Heilerin. »Ich kann bei Vollmond oft nicht schlafen.«
»Aber bei ihm … ich weiß nicht, manchmal schlief er wie tot und manchmal …« Atamarie runzelte die Stirn.
Matariki seufzte. Es war wie immer: Um welches Thema es auch ging, Atamarie versuchte, sich jede Nuance ihrer Erfahrungen mit Richard Pearse ins Gedächtnis zu rufen und auszudeuten. Am Anfang hatte Matariki das auch durchaus verständlich gefunden. Es war normal, dass sich Atamarie mit dieser Geschichte auseinandersetzte – schließlich war ihre vom Leben verwöhnte Tochter zum ersten Mal enttäuscht worden. Atamarie sah ihre unglückliche Liebe wohl auch als persönliches Scheitern an, obwohl niemand außer ihr die Sache so wahrnahm. Aber inzwischen haderte die junge Frau schon seit einigen Wochen mit ihrem Schicksal. Matariki fand, das reiche jetzt.
»Du wiederholst dich«, sagte sie folglich streng, nachdem sie sich neben ihrer Tochter niedergelassen hatte. »Mittlerweile wissen hier alle, inwiefern Richard Pearse merkwürdig war. Erklären kann es allerdings niemand.«
Atamarie kaute auf ihrer Oberlippe, wie immer, wenn sie versuchte,
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