Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
Frauenkunstausstellung von Heather beteiligen. Ich hab dir ja davon erzählt.«
»Aber ich bin doch keine Künstlerin«, maulte Atamarie. »Wenn ich webe …«
»Du wolltest schon als kleines Mädchen den Webrahmen reformieren«, lachte Matariki. »An gestalterischer Fantasie fehlt es dir also nicht. Warum baust du nicht einen manu? «
»Einen Drachen?«, fragte Atamarie unwillig. »Also, das wäre doch eher was für Rawiri.«
»Der ist aber noch weg«, bemerkte Matariki.
Sie hatte seit längerem den Verdacht, dass auch dies ihre Tochter in Parihaka hielt. Atamarie wartete auf Rawiri – ob sie sich dabei an seine beharrliche Werbung um sie erinnerte oder ob es um Informationen über die Brüder Wright aus erster Hand ging, wusste sie nicht. Rawiri hatte ihr inzwischen von dem Flug der Brüder geschrieben und alles genau geschildert. Er konnte ja nicht wissen, an welche Wunden er da rührte. Matariki hatte Atamarie nicht nach dem Inhalt des Briefes gefragt, wohl aber mit Rawiris Mutter gesprochen, die natürlich auch Post von ihrem Sohn erhalten hatte.
»Sehr euphorisch war er nicht«, meinte Pania, die nüchterne Ärztin. »Er versteht rein technisch, warum dieses Flugzeug in die Luft geht, aber spirituell erschließt es sich ihm nicht. Bei den Gebrüdern Wright fehlte es ihm an Demut vor den Geistern. Es war vielleicht nicht ganz falsch von dir, Matariki, Atamarie in Dunedin zur Schule zu schicken. Rawiri hat den Geist von Parihaka offensichtlich etwas zu sehr verinnerlicht.«
»Komm, Atamarie, du kannst Drachen bauen!«, redete Matariki jetzt weiter auf ihre Tochter ein. »Rawiri nimmst du damit nichts weg – zumal Heather und Chloé seine Arbeiten auch nicht zulassen würden. Es geht ja um Kunst von Frauen. Also los, Atamarie! Mach dich an die Arbeit, Rawiri hat dir doch gezeigt, wie es geht. Und es wäre hübsch, wenn wir ein paar Drachen steigen lassen könnten, da in Dunedin.«
Atamarie besorgte sich also Manuka- und Kareao-Holz. Wenn die Drachen wirklich traditionell hergestellt werden sollten, brauchte sie auch Raupo-Blätter. Sie suchte eine tohunga auf, die ihr sagte, wo sie das Material fand und mit wie viel Ehrfurcht sie die Blätter pflücken und der Pflanze dafür zu danken hatte. Natürlich neigte Atamarie dazu, das gesamte spirituelle Drumherum abzukürzen, aber gleich am ersten Tag ihrer Arbeit fand sie sich plötzlich umringt von einer Horde Kinder, die alle ebenfalls Drachen bauen wollten.
»Rawiri hat jedes Jahr zu Matariki manu mit uns gemacht«, beschwerte sich ein kleiner Junge. »Aber jetzt ist er schon zum zweiten Mal nicht da. Wir werden das ganze tikanga vergessen!«
Letzteres erklärte er sehr ernst mit besorgt gerunzelter Stirn. Atamarie musste lachen. Sie konnte sich zwar kaum vorstellen, dass in Parihaka Brauchtum verloren ging, aber gut, an ihr sollte es nicht liegen.
Sie befragte die älteren Kinder nach den Liedern, Gebeten und Anrufungen, die während des Bauvorgangs gesungen und gesprochen werden mussten. Dann hielt sie die Kleinen an, die traditionellen Formen der Drachen beizubehalten, aber auch, es mit neuen zu probieren. Schließlich bauten sie Doppeldecker und fallschirmartige Konstruktionen und probierten, was am besten flog.
»Es ist aber doch gar nicht so wichtig, ob die manu richtig fliegen!«, erklärte ein Mädchen im Brustton der Überzeugung. »Wichtig ist die Nachricht an die Götter!«
Atamarie lachte. »Aber um die Götter zu erreichen, müssen die Drachen erst mal in die Luft! Und jetzt zeichne deinem mal ein lachendes Gesicht auf, Wai, damit Rangi gute Laune kriegt und nicht weint, während wir die Drachen auflassen, denn dann fliegen sie nicht!«
Atamarie und ihre kleinen Helfer dekorierten die Drachen mit Federn und Muscheln, tohunga erklärten die Zeichen, die sie in schwarzer und roter Farbe aufmalten. Atamarie überwand sich und mischte zur Farbherstellung Ton mit grässlich stinkendem Haifischöl, wie die Tradition es forderte. Schließlich flochten alle Schnüre aus Flachs – aho tukutuku . Und ganz zum Schluss musste jeder Drachen seine Flugfähigkeit beweisen.
»Ist aber schade, wenn diese kleinen Kunstwerke nun abstürzen«, meinte Matariki, der ein bunt gestalteter birdman zu schwer zu sein schien.
»Meine Drachen stürzen nicht ab!«, erklärte Atamarie selbstsicher. »Es kommt nicht darauf an, wie schwer ein Flieger ist, wichtig ist, wie er die Aufwinde nutzt. Wartet ab, irgendwann werden Flugzeuge aufsteigen, so groß wie ein
Weitere Kostenlose Bücher