Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
nahegestanden. Dabei hatten die Traditionen der Maori ihre Weltsicht stark geprägt. Alle drei waren im marae der Ngai Tahu ein und aus gegangen und betrachteten den Stamm als ihre erweiterte Familie. Verzwickte verwandtschaftliche Verhältnisse wie die Tatsache, dass Matariki nur eine Halbschwester der beiden Jungen war, hatten keine Rolle gespielt. Kevin war insofern auch nie auf die Idee gekommen, Doortje auf diesen Umstand hinzuweisen oder vorzubereiten. Er bemerkte ihre Erstarrung erst, nachdem er Matariki gleich auf dem Bahnhof in Empfang genommen und herzlich begrüßt hatte. Doortje blickte fassungslos auf ihren dunklen Teint, die etwas schräg stehenden Augen und das dichte schwarze Haar, das sie obendrein offen trug. Matariki war eine eindrucksvolle Erscheinung. Wie die anderen Frauen aus Parihaka trug sie Reformkleider, die dort gefertigt wurden – traditionell gewebt in den Stammesfarben, allerdings von Länge und Sittsamkeit westlichen Vorstellungen angepasst. Sie war eine schöne Frau, aber zweifellos nicht weiß!
»Ich … ich wusste nicht …« Doortje schien abwechselnd blass und rot zu werden, aber Matariki fiel das gar nicht auf.
»Du musst Dorothea sein!«, meinte sie fröhlich. »Kevin hat mir auch deinen Rufnamen geschrieben, aber ich traue mich nicht, ihn auszusprechen, bevor du es mir vorgemacht hast. Nicht dass er schließlich wie Dorothy klingt!« Sie lachte. »Als ich klein war, nannten sie mich in der Schule Martha. Mir hat das nichts ausgemacht, aber bei meiner Tochter Atamarie habe ich dann schon darauf geachtet, dass sie keine Mary wird.«
Matariki wollte Doortje ebenso spontan in die Arme schließen wie eben Kevin, aber dann spürte sie deren Ressentiments und sah davon ab. Es konnte ja sein, dass dies in Südafrika verpönt war.
Atamarie gab ebenfalls freundlich die Hand – allerdings konnte sie sich eher einen Reim auf Doortjes abweisendes Verhalten machen. Roberta war eine eifrige Briefschreiberin, und die Vorurteile der Buren gegenüber Dunkelhäutigen waren oft Thema ihrer seitenlangen Ausführungen gewesen.
Doortje empfand Atamarie gegenüber weniger Ressentiments als gegenüber Matariki, der jungen Nichte ihres Mannes war die Maori-Abstammung kaum anzusehen. Dafür gab sie der Burin anderweitig Rätsel auf. Matarikis Tochter ähnelte Kathleen Burton – sie hatte die gleiche Haarfarbe und die gleichen aristokratischen Gesichtszüge. Auf der Fahrt in die Lower Stuart Street grübelte Doortje kurz darüber nach, wie das möglich sein konnte. Sie wusste, dass Sean Coltrane ein Sohn von Michael und Kathleen war. Diese Matariki musste ein Fehltritt von Lizzie sein. Wieso aber ähnelte deren Tochter der Frau des Reverends? War Sean der Vater? Doortje konnte sich das bei dem distinguierten Rechtsanwalt nicht vorstellen.
Dann verdrängte sie die Sache jedoch schnell, schließlich stand sie vor drängenderen Problemen. In Transvaal hätte man niemals von ihr verlangt, sich mit farbigen Familienangehörigen an einen Tisch zu setzen. Man hätte sich nicht mal zu der Schande bekannt, überhaupt welche zu haben. Aber Matariki war nun Doortjes Hausgast … Die junge Frau bemühte sich um Höflichkeit, aber besonders erfolgreich war sie nicht dabei. Während der Fahrt blieb sie einsilbig und machte Kevin Vorwürfe, als Matariki und Atamarie sich ins Gästezimmer zurückzogen, um sich frisch zu machen.
»Du hättest mich wenigstens vorwarnen können!«
Kevin zuckte die Achseln. »Aber Doortje, du wusstest doch, dass Matariki aus Parihaka kommt. Mit den Maori-Künstlern. Was hast du gedacht, was sie da macht?«
»Du hast gesagt, sie sei Lehrerin!«, sagte Doortje. »Also dachte ich natürlich …«
»Dass sie armen Zulu-Kaffern ein bisschen Zivilisation beibringt?«, höhnte Kevin. »Doortje, du kennst die Geschichte von Parihaka. Glaubst du wirklich, die brauchen da pakeha , um ihnen Lesen und Schreiben beizubringen?«
»Aber … aber du sagtest, dass Mata…rikis Mann im Parlament sitzt! Da musste ich glauben …« Doortje wusste nicht, ob sie sich für ihre Unwissenheit schämen oder mit ihrer rassistischen Überlegenheit auftrumpfen sollte. Tatsächlich kannte sie die Geschichte Parihakas nur in sehr groben Zügen. Violet und Lizzie hatten davon erzählt, aber Doortje hatte kaum hingehört. Es war anstrengend für sie, in Englisch geführten Unterhaltungen bis ins Detail zu lauschen, und manchmal, wenn ein Thema sie so gar nicht interessierte, träumte sie sich
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