Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
auch schon fast wieder trocken. Trotz der Kälte hatte er sich für den Flug nur in den traditionellen Maori-Kilt aus gehärteten Flachsfasern gekleidet. Sein Oberkörper war frei, und Atamarie registrierte, dass er über beeindruckende Muskeln verfügte, obwohl er schlank und sehnig war. Richard imponierte ihr da allerdings noch mehr. Er hatte sein nasses Hemd inzwischen ausgezogen und ließ breite Schultern und starke Brustmuskeln sehen. Wahrscheinlich hatte er im Sommer auf der Farm seiner Eltern gearbeitet. Dafür sprach auch die Sonnenbräune.
Atamarie blickte verschämt zu Boden, als er sich ihr zuwandte – hoffentlich hatte er ihre interessierten Blicke nicht bemerkt!
Aber Richard wollte nur höflich sein wie immer. »Du musst frieren, Atamarie … hier, nimm meine Jacke.« Das war rührend, Richards Jacke war das einzige noch trockene Kleidungsstück, Porter hatte nicht daran gedacht, die seine vor dem Rettungsversuch auszuziehen. Richard hätte sich jetzt vor der Kälte schützen können. Atamarie sah die Gänsehaut auf seinen Armen. »Oh, Verzeihung, jetzt habe ich dich gedutzt, aber …«
Atamarie lächelte. »Ich dich vorhin auch. Lass uns dabei bleiben. Komm!«
Sie hielt Richard geziert die Hand hin, damit er ihr aufhalf – schließlich kniete sie immer noch neben Rawiri. Dann hüllte sie sich zufrieden in seine Jacke.
Ein paar Stunden später saßen beide am Feuer in Parihaka und ließen sich Fisch und Süßkartoffeln schmecken. Dazu gab es diesmal heißen Tee. Rawiri und seinen Rettern wollte einfach nicht wieder warm werden, der Rückweg in den nassen Kleidern hatte sich endlos hingezogen. Natürlich hatte es auch schon am Taranaki ein Lagerfeuer gegeben, an dem sie versucht hatten, sich halbwegs zu trocknen. Aber was bei den Denimhosen der Männer schon schwierig war, erwies sich bei Atamaries Röcken als gänzlich hoffnungslos. Schließlich entschieden sie sich für einen raschen Heimritt, aber natürlich war Atamarie völlig durchgefroren, als sie sich endlich umziehen konnte. Immerhin erwies sich Porter McDougal zum ersten Mal an diesem Tag als echte Hilfe: Er fand noch eine Flasche besten Whiskeys in seinem Gepäck und füllte ihn unerwartet freigebig in die Teebecher seiner Kommilitonen.
Richard und Atamarie ließen als Gegenleistung unkommentiert, dass er sich vor den Studenten und Maori-Mädchen als Held des Tages präsentierte. Seinen Berichten zufolge hatte er Rawiri fast im Alleingang gerettet.
Rawiri trug jetzt pakeha -Kleidung, die erheblich besserwärmte, und saß neben Atamarie und Richard. Fasziniert lauschte er ihrer Unterhaltung – während Matariki belustigt feststellte, dass ihre Tochter ihrem Ziel wohl näher rückte. An diesem Abend war dieses Leuchten in Richard Pearse’ Augen, auf das ihre Tochter in den letzten Tagen gewartet hatte. Überhaupt schienen Sterne zwischen den beiden im Raum zu stehen, auch Atamarie strahlte vor Glück, und schließlich hielten sich die zwei sogar an den Händen und wanderten über die umliegenden Hügel.
»Ich finde die Gesprächsthemen nur ein bisschen ungewöhnlich«, meinte Matarikis Freundin Emere. »Ich wollte ja nicht lauschen, aber als ich vorhin vorbeiging, redeten sie über die Systematik der Flugtechnik, was immer das ist, und dass die physikalischen Grundlagen des Fliegens nach Lilienthal eigentlich auch motorbetriebene Fluggeräte zulassen müssten. Also, für mich klingt das nicht nach Schmetterlingen im Bauch.«
Matariki lachte. »Atamarie hat Schmetterlinge immer nur unter dem Gesichtspunkt der Flügelform betrachtet …«, bemerkte sie. »So gesehen ist der junge Mann doch ein Seelenverwandter.«
Atamarie und Richard wanderten derweil beseelt über die mondbeschienenen Hügel rund um Parihaka und sprachen darüber, ob man beim Hinunterrennen dieser Erhebungen einen ausreichenden Bodenanstellwinkel der Tragflächen eines Gleitfliegers erreichen könnte, ob sich Lilienthals Sturz am Gollenberg hätte verhindern lassen, indem man die Thermische Ablösung geschickter ausgesteuert hätte, und ob man größere Flugdistanzen wirklich nur mittels erhöhten Anstellwinkels und damit verringerter Geschwindigkeit erreichen könnte.
Als Richard die junge Frau schließlich vor dem Haus ihrer Eltern verließ, drückte er einen schüchternen Gute-Nacht-Kuss auf ihre Wange.
»Du bist das wundervollste Mädchen, das ich je getroffen habe«, flüsterte er. »Du … du … ich hätte nie gedacht, dass jemand die Gedanken und
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