Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
Sommersonne.
»Jedenfalls ist sie wunderschön!«, erklärte sie. »In Irland sagt man: ›Schön wie ein Maientag‹. Komm, kleine May! Lass mich dich mal halten! Und groß ist sie, Juliet, für ein Kind von drei Monaten …«
Der Rufname May oder Mae sollte sich tatsächlich einbürgern. Patrick gefiel er, und aussprechen konnte ihn nun wirklich jeder. Juliet hielt an Marie fest, aber allzu oft nannte sie ihr Kind sowieso nicht beim Namen. Vorerst wanderte die kleine May vom Arm einer begeisterten Dunediner Matrone zum anderen. Ausnahmslos jeder war entzückt von dem Kind, und Juliet sonnte sich in der Aufmerksamkeit der Gesellschaft. Mays Taufe sollte in Dunedin gefeiert werden, und Juliet fühlte sich, als sei sie nach einjährigem Gefängnisaufenthalt endlich in die Welt zurückgekehrt. Patrick und Juliet Drury präsentierten der Stadt stolz ihre erstgeborene Tochter, und niemand zweifelte das angegebene Geburtsdatum an – zumindest nicht laut. Juliet zog nun auch endlich zu Patrick in das Haus am Stadtrand, was Patrick uneingeschränkt glücklich machte. Für Juliet dämpfte nur Lizzies Anwesenheit die Begeisterung. Ihre Schwiegermutter bestand darauf, zumindest bis zur Taufe bei den beiden zu wohnen.
»Du musst dich doch erst mal eingewöhnen, Juliet!«, begründete Lizzie ihren Entschluss. »Und dich mit der Kleinen vertraut machen. Bis jetzt hast du sie kaum jemals selbst gewickelt oder gefüttert. Ich sehe ja ein, dass du nicht stillst, aber …«
Tatsächlich sah Lizzie das keineswegs ein, aber sie hatte miterlebt, dass Juliets Milch ohnehin schnell versiegte. Seit der Geburt hatte die junge Frau sich ein strenges Fastenprogramm verordnet, sie wollte unbedingt ihre alte Figur wiederhaben,bevor sie sich in der Stadt Dunedin zeigte. Das gelang dann auch fast, und die Frauen der Gesellschaft, allen voran Kathleen und Claire, zollten ihr dafür durchaus Respekt.
»Aber es wäre doch gar nicht nötig gewesen, sich derart zu kasteien«, meinte Claire bei Juliets erstem Besuch in Lady’s Goldmine. Die junge Mutter suchte ein passendes Kleid für die Taufe. »Man kann heute durchaus Reformkleider tragen, gerade so kurz nach einer Entbindung. Es ist doch auch nicht gesund, sich so eng zu schnüren.«
Juliet verzog verächtlich die Lippen. »Ich werde nicht herumlaufen wie eine fette Kuh«, bemerkte sie – mit einem Seitenblick auf Lizzie, die es zum Glück nicht hörte.
Claire und Kathleen, beide von Natur aus sehr schlank, trugen meist ein Korsett, Lizzie hatte dagegen aufgegeben. Sie bevorzugte locker fallende Reformkleider, die ihr sehr gut standen. Lizzie war eine eher kleine Frau, die jetzt, da sie älter wurde, leicht gedrungen wirkte. Die weiten Kleider streckten ihren Körper – und sie waren bequem. Lizzie fühlte sich wohl darin und strahlte das auch aus. Dazu waren die Reformkleider aus Kathleens Kollektion natürlich mondäne Kunstwerke. Lizzie wirkte darin keineswegs hausbacken oder gar fett.
»Dies steht Ihnen jedenfalls hervorragend!«, lobte Claire das leuchtend blaue Seidenkleid, für das Juliet sich entschieden hatte. »Ich weiß nicht, gibt es ein Taufkleid in Ihrer Familie? Sonst könnte unser Lehrmädchen vielleicht eins für Ihr Töchterchen schneidern. Es ist noch etwas Stoff übrig, und die Kleine hat gestalterische Ambitionen …«
Juliet nickte geschmeichelt – und strahlte, als Marie Brigitte Drury schließlich als erstes Baby von Dunedin in einer Goldmine-Kreation über das Taufbecken gehalten wurde. Die Kleine sah umwerfend niedlich aus, und die junge Schneiderin heimste Lob ein. Juliet war hochzufrieden – bis Patrick zwei Tage nach dem Fest die Rechnung erhielt.
»Juliet, ich fass es nicht! So viel Geld für ein Kleid? Davon … davon hätte ich ein Pferd kaufen können!«
Lizzie, die sich eigentlich zur Abfahrt vorbereiten wollte, es aber nicht übers Herz brachte, sich von ihrer Enkelin zu trennen, lachte.
»Das kosten diese Kleider nun mal!«, nahm sie Juliet ausnahmsweise in Schutz. »Lady’s Goldmine ist äußerst exklusiv. Aber keine Angst, Patrick, das muss ja nicht zur Gewohnheit werden. Eine Taufe ist eine besondere Gelegenheit, und das hier ist auch ein Versehen. Juliets und Mays Kleider gehen selbstverständlich auf meine Rechnung. Ich darf dir das doch schenken, nicht wahr, Juliet? Als kleine Wiedergutmachung dafür, dass ich dir ein Jahr lang das Leben zur Hölle gemacht habe?«
Lizzie lächelte ihrer Schwiegertochter zu, bereit zur
Weitere Kostenlose Bücher