Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
darüber auch Einvernehmen geherrscht. Mrs. O’Grady fand es schon seltsam, dass sich Juliets Schwiegermutter zwei Wochen lang bei Patrick und Juliet eingenistet hatte. Ihr selbst lag es fern, sich in den Haushalt der jungen Ehefrau einzumischen.
»Aber Randy sagte, das Baby schreie die ganze Zeit, und da bin ich mal vorbeigekommen, um zu schauen, ob ich helfen kann …«
Juliet hatte die Frau daraufhin umgehend wieder eingestellt – und diesmal mit sehr viel weitreichenderen Aufgaben. Mrs. O’Grady hatte gekocht, das Kind gewickelt und gefüttert, das Haus geputzt und den Tisch gedeckt. Juliet las derweil in einem Band Noten, den sie bestellt und an diesem Tag per Post erhalten hatte.
Als Patrick ins Wohnzimmer kam, lächelte sie ihn an.
»Lieber, wir brauchen unbedingt ein Klavier! Ich kann Partituren lesen, aber es wäre doch schöner, sie nachzuspielen. Ich könnte abends Konzerte für dich veranstalten …« Juliets Augen blitzten verführerisch.
Patricks Zorn verflog. Er konnte Juliet nicht böse sein. Aber andererseits musste sie verstehen …
Patrick erklärte Juliet seine wirtschaftliche Situation an diesem Abend bis ins kleinste Detail, und er tat es auch am nächsten, als Mrs. O’Grady ihm wieder mit dem Kind im Arm die Tür öffnete. Die resolute Irin zeigte sich diesmal allerdings wesentlich weniger freundlich als am Abend zuvor und machte ihm unmissverständlich klar, dass sie sich gern um seinen Haushalt kümmern wolle, nur nicht unbezahlt. Dennoch hatte sie wieder auf Mays anhaltendes Schreien reagiert und war herübergekommen. Das kleine Mädchen hatte ihr Herz längst erobert.
»Sagen Sie Ihrer Frau, sie muss sich um das Kind kümmern!«, herrschte sie Patrick jetzt an. »Wenn’s Ihnen egal ist, dass Ihr Haus verkommt, das geht mich nichts an. Aber das Kleine kann ich nicht weinen hören …«
»Schreit nicht jedes Kind mal?«, meinte Patrick hilflos, woraufhin Mrs. O’Grady ihn böse anblitzte.
»Mal schon, aber nicht fünf Stunden am Stück. Und als ich’sdann aufnahm, war die Windel durchnässt, und hungrig war es auch …«
»Ich brauche wenigstens eine Nanny!«, jammerte Juliet, als Patrick sie mit Mrs. O’Gradys Anschuldigungen konfrontierte. »Und einen Kinderwagen, ich muss auch mal raus hier. Ich werde verrückt, wenn ich immer allein bin.«
Patrick legte ein weiteres Mal seinen Verdienst vor ihr offen – und kaufte dann doch am nächsten Tag einen Kinderwagen. Das stellte zumindest Mrs. O’Grady zufrieden: May schrie nicht mehr den halben Tag, denn Juliet ging mit ihr aus.
Die junge Frau schlenderte durch die Straßen der Stadt, und spätestens, wenn May zu weinen begann, stattete sie irgendjemandem einen Besuch ab. Zumindest in der ersten Zeit funktionierte das hervorragend. Kathleen und Claire, Heather und Chloé, Violet und Laura, die Gattin von Dr. Folks, fanden May reizend. Sie freuten sich, wenn Juliet ihnen erlaubte, die Kleine zu wickeln und zu füttern, oder sie baten ihre Dienstboten, sich um das Kind zu kümmern.
»Wir haben uns wohl ein bisschen lange in der Stadt aufgehalten«, sagte Juliet entschuldigend, wenn sie mit dem schreienden Baby vor der Tür stand. Dann machte sie Konversation, bis es Zeit war, nach Hause zu gehen. Natürlich war dann immer noch nicht gekocht oder geputzt, aber sie konnte sicher sein, dass Patrick sich nicht aufregte. Schließlich setzte sie durch, dass Mrs. O’Grady wenigstens wieder zweimal die Woche zum Putzen kam.
Glücklich wurde mit diesem Arrangement jedoch keiner. Juliet langweilte sich jeden Tag, sie hatte schließlich früher schon festgestellt, dass sie mit den Damen der Dunediner Gesellschaft wenig gemeinsam hatte. Am liebsten besuchte sie noch Claire Dunloe, die ein Klavier besaß. Die hatte nichts dagegen, wenn Juliet darauf spielte, und sie redete auch gernund kundig über Musik und Kunst. Claire war als Arzttochter in Liverpool aufgewachsen und hatte eine entsprechende Mädchenerziehung genossen. Allerdings versuchte sie Juliet bald auf diplomatische Weise zu vermitteln, dass sie ihre Gastgeberin von der Arbeit abhielt. Claire und Kathleen führten Lady’s Goldmine gemeinsam, und Claire oblagen die Beratung der Kunden und der Verkauf. Kathleen entwarf die Kleider und kümmerte sich um die Schneiderinnen, die sie nähten. Meist arbeitete sie mit ihnen in einem Hinterzimmer. Wenn Claire Besuch empfing, musste Kathleen im Laden einspringen, oder die Frauen überließen das Geschäft ein paar Stunden
Weitere Kostenlose Bücher