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Die Tränen der Massai

Die Tränen der Massai

Titel: Die Tränen der Massai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Coates
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lauter. Ihre Stimmen spielten mit dem anderen, tieferen Geräusch. Sie fädelten ihr Lied hindurch und darüber hinweg. Sie versuchten, es mit ihrem Gesang zu umschließen. Aber das andere Geräusch, das, welches das Mädchen anzog, wollte nicht zuhören. Es trotzte den Verlockungen des Frauengesangs, dröhnte entschlossen und ungerührt weiter. Und es zog das Mädchen von den Frauen, den Alten und Müttern, weg. Es pochte in ihr und zerrte an ihrem Bauch und an ihrem Geist. Es zog an ihrem Herzschlag und band sie in seinen gnadenlosen Rhythmus.
    Sie löste sich aus der dicht zusammenstehenden Gruppe von Frauen und zögerte, bevor sie langsam auf die Männer zuging, die sich rings um das Geräusch versammelt hatten. Es machte ihr Angst, aber es zwang sie auch vorwärts. Kleine Jungen tollten wild herum. Sie sprangen hoch in die Luft und klatschten in die Hände, in diesem Bereich zwischen den Männern und den Frauen, und sie hatten keine Angst vor dem Geräusch. Das Gesicht ihres Bruders erschien vor ihr. Er lachte und tanzte um sie herum, bevor er mit den anderen Jungen davonlief.
    Sie spürte, dass sie nicht dort sein sollte, so nahe an den Männern, so nahe an dem Geräusch. Aber es rief nach ihr, und ihre Beine mit den wunderschönen neuen Reifen mit roten und gelben Perlen und rotem Metalldraht, die ihre Mutter ihr am Morgen übergezogen hatte, gehorchten. Die Wand alter Männer blockierte ihren Weg. Sie achteten nicht auf sie. Das Mädchen spürte, dass die Männer das Geräusch kannten, mit ihm vertraut waren. Sie kannten es, aber es war nicht ihres. Es gehörte den anderen, jüngeren Stimmen. Stärkeren Stimmen.
    Der Gesang der Frauen wurde mit der Herausforderung lauter. Sie neckten und verlockten das Geräusch, aber es wurde tiefer und verachtete ihre Verführungsversuche. Keine Macht konnte diesen gnadenlosen Rhythmus verändern:
»Hhuunh-hah!«,
und einen Augenblick später wieder:
»Hhuunh-hah!«
    Sie fand eine Lücke in dem Wald von Beinen. Mit großen Augen und beinahe atemlos sah sie sie, die Furcht erregenden jungen Männer ihres Stammes, glänzend und hoch gewachsen und beinahe nackt in ihren kurzen roten
Shukas.
Sie wusste, das Geräusch erfüllte diese Männer ebenfalls. Ihre Körper wurden davon verschlungen; sie pulsierten ihm Gleichklang damit.
»Hhuunh-hah!«
    Und als Kontrapunkt, wenn das Kinn der Krieger zu ihrer Brust zuckte und diese Brust sich für den nächsten Ruf mit Luft füllte, erklang das Donnern von Eisenspeeren gegen feste Schilde: Krach!
    Es hallte von den Felsen rings um ihr Dorf wider.
Hhuunh-hah!
Krach.
    In der Mitte des Kreises war ein
Morani,
der so wie ein Pfeilschaft in die Luft sprang. Höher und höher sprang er bei jedem Schlag.
»Hhuunh-hah!«
Krach! Höher.
»Hhuunh-hah!«
Krach! Höher und höher. Das Geräusch trieb ihn nach oben, immer weiter nach oben, bis es aussah, als könnte er den Himmel berühren. Manchmal, wenn er hoch über ihnen hing, wirbelte er seine langen, rot eingeriebenen Zöpfe herum und schien in der Luft zu verharren, bis das Krachen von Speer auf Schild ihn wieder zur Erde zurückrief.
    Sie wusste, sie würde nie wieder etwas so Schönes, so Ehrfurcht Erregendes sehen wie die jungen Krieger ihres Dorfes. Als sie das Gefühl hatte, dass das wundervolle Geräusch, der Tanz und die wirbelnden Farben sie für immer davontragen würden, fand eine Hand die ihre und zog sie sanft vom Kreis der Männer weg, dorthin zurück, wo sie hingehörte, zu den Müttern und Kindern.
    Das Geräusch ließ das Kind los. Sie wurde wieder sie selbst, nur ein weiteres dünnes Massaimädchen.

Kapitel 20
    Aus Peabodys Ostafrikaführer (5. Auflage):
    Eine Hilfsagentur in Ostafrika, die die Aids-Fälle bei jungen Bettlern erforschte, kam 1985 zu folgendem Schluss: Körperlich gelangt HIV ins Immunsystem und vernichtet es. Soziologisch gerät es in das Hilfssystem der Großfamilie und vernichtet es ebenfalls.
     
     
    E s fühlte sich seltsam an, wieder den Subaru zu fahren. Er war leise und leicht zu bedienen. Im Vergleich zu dem rumpelnden Landrover klebte er auf der Straße und ließ sich fahren wie ein Sportwagen. Er war gerade rechtzeitig eingetroffen. Jack hatte, seit er im letzten Monat begonnen hatte, sich mit Malaika zu treffen, sein Glück auf eine harte Probe gestellt. Der Verwaltungschef des UNDP , ein mürrischer Sikh, reagierte immer unwirscher, wenn Jack darum bat, den Landrover am Wochenende benutzen zu dürfen.
    Malaika trommelte mit den Fingern zur Musik

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