Die Tränen der Massai
verschwendet. Henry kümmert sich darum. Wenn er es nicht brauchen kann, geht es an den Gärtner oder den Wachmann. Ich bin sicher, dass es seinen Weg auf einen Tisch findet.«
Malaika nickte. »Wir schicken Essenspakete aus Nairobi zu unserer Klinik in Kisii.«
»Gibt es denn nicht genug zu essen in Kisii?«, fragte Bear und goss Jack Wein nach. Malaika lehnte ab. »Jedes Mal, wenn ich durch Kisii komme, quellen die Gemüsegärten über.«
»Ja.« Malaika nickte. »Gute Erde und guter Regen. Aber es reicht immer noch nicht für alle.« Sie erzählte, dass nach der Tradition von Kisii jeder Sohn, wenn er heiratete, einen Anteil vom Land seines Vaters erhielt. Im Ausgleich sorgten die Söhne dafür, dass ihre Eltern in ihren späten Jahren versorgt waren. Aber in den letzten Generationen waren die geteilten Felder zu klein geworden, um die Söhne zu ernähren, von den Eltern gar nicht zu reden. Die Leute aus Kisii waren gezwungen gewesen, alternative Möglichkeiten zu suchen, um für ihre Kinder und sich selbst zu sorgen. Die populäre Alternative für arme Familien bestand darin, genug Geld zusammenzubringen, um eines ihrer Kinder auf eine weiterführende Schule zu schicken, damit dieses Kind später Gelegenheit hatte, Arbeit in der Stadt zu suchen und von dort Geld zurück zur Familie zu schicken. Dieses auserwählte Kind war unweigerlich einer der Söhne, aber nicht immer der Älteste. Die Chance wurde dem Jungen gegeben, der in der Grundschule am vielversprechendsten war. Wenn er die weiterführende Schule nicht abschloss, war das mehr als nur persönliches Versagen; es war ein wirtschaftliches Desaster für die ganze Familie.
»Klingt nach einer guten Idee«, sagte Jack. »Das Kind mit der besten Chance. Wo ist das Problem?«
»Bis zu diesem Punkt gibt es noch keines«, antwortete Malaika. »Sicher, es ist nicht einfach für die Eltern im Dorf, denn es fällt ihnen schwer, das Geld zusammenzubekommen. Aber das wissen sie vorher. Sie schlagen sich einfach ein paar Jahre durch.«
»Und dann?«, fragte Jack, als sie innehielt.
»Und dann bekommt der Junge einen Job, vielleicht als Angestellter in einem großen Büro. Die Alten im Dorf betrachten das als großen Erfolg. Aber der Junge, der junge Mann, ist weit weg von seiner Familie. In der Stadt gibt es Freiheiten, die er im Dorf nie hatte. Die jungen Leute haben Spaß. Einige heiraten und bekommen Kinder.
Diese Kinder – oder genauer gesagt, die Enkel – werden für gewöhnlich nach Kisii zurückgeschickt. Auch das ist ein Teil des Plans. Ein bisschen Geld geht ebenfalls zurück. Nicht viel, weil die Mieten in der Stadt hoch sind, selbst für eine Einzimmer- … wie soll man das nennen? Für eine Einzimmerhütte.« Sie hielt inne und starrte ihre Hände an. »Und nun beginnen die Probleme. Vielleicht fünf oder sechs Jahre nachdem sie ihr Zuhause verlassen haben, wird einer von dem Paar krank. Manchmal beide.« Sie verschränkte ihre Finger ineinander. »Sie nennen es die Abnehmkrankheit. Einer von fünf erkrankt daran.« Sie warf Jack einen Blick zu. »Im Westen nennt ihr es Aids.«
Jack verzog das Gesicht. »Einer von fünf! Und du sprichst von verheirateten Paaren?«
Bear antwortete. »Es ist hier keine Schwulenkrankheit. In Afrika trifft es alle. Und überall.«
Malaika zuckte niedergeschlagen die Achseln. »Vor allem die jungen Leute.«
Jack schüttelte den Kopf. »Und sie waren die Hoffnung des Klans.«
»Ja. Es ist schlimm genug, einen Sohn oder eine Tochter zu verlieren. Aber sie waren auch die große Chance für alle anderen. Für die ganze Familie. Alle Hoffnungen ruhten auf diesem jungen Mann. Und nun ist es zu Ende. Und sie haben auch noch die Enkel, für die sie sorgen müssen.«
»O Gott, Malaika, das ist …« Jack wusste nicht, was er sagen sollte. »Das war mir nicht klar.«
Sie lächelte dünn. »Das ist ein Teil des Problems. Die reichen Länder verstehen es nicht. Vielleicht wollen sie es auch nicht wissen. In Afrika bringt Aids eine ganze Generation um. Die gebildete Generation. Diejenigen, die das Geld hätten verdienen können. Wie hast du sie genannt, Jack?
Die Hoffnung des Klans.
Genau das waren sie. Jetzt müssen die alten Leute im Dorf die Kinder großziehen. Und sie haben immer noch nicht genug Land.« Sie holte tief Luft. »Es ist schlimm. Sehr schlimm.«
Jack begann, die Ausmaße zu begreifen. »Es muss sich auf die gesamte Wirtschaft auswirken, auf das gesamte Land. Wird denn gar nichts unternommen? Wie hat das
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