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Die Tränen der Massai

Die Tränen der Massai

Titel: Die Tränen der Massai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Coates
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die Geschichte, aber er fragte sich, wohin sie führte.
    »Danach sind Violet und ich verschwunden, bevor die Polizei kam. Waren in irgendeiner Bar in der Nähe des Markts. Haben uns besoffen. Wir hatten diese Nacht jede Menge Spaß!« Er lächelte.
    »Danach habe ich hin und wieder bei ihr vorbeigeschaut. Hab ein oder zwei Gläser mit Violet getrunken. Vielleicht sind wir kurz hierher gefahren. Sie wohnte draußen in Eastlands, bei einer Cousine. Violet hatte ein Kind, einen Jungen, etwa acht Jahre alt.« Er kratzte die Seite seines schmalen Barts. »Ich hab ihnen eine kleine Wohnung in Hurlingham verschafft. Ihr, dem Jungen und der Cousine. Violet war die meiste Zeit hier bei mir. Und ehe wir uns versahen, waren zwei Jahre vergangen. Ich hab sie sogar mit in Urlaub genommen. Bangkok, Rom …« Er blies in die Asche am Zigarettenende und betrachtete das Glühen. »Ich hatte viel Spaß mit Violet.« Er drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. »Als sie krank wurde, wusste ich nicht, was ich tun sollte. Plötzlich hatte sie diese unglaublichen Kopfschmerzen. Eines Abends hat sie sich vor Schmerzen übergeben. Ich hab sie ins Aga-Khan-Krankenhaus gebracht. Sie konnten nichts feststellen. Sie haben ihr Tabletten gegeben, und nach einiger Zeit sind die Kopfschmerzen verschwunden. Einen Monat später waren sie wieder da. Und viel schlimmer.«
    Er holte eine neue Zigarette heraus und streckte das Bein aus, um das Feuerzeug aus der Hosentasche zu fischen. Das Feuerzeug klickte, und er zündete die Zigarette an. Dann klappte er das Feuerzeug wieder zu und legte es auf den Rauchertisch.
    »Sie ist auf dem Weg zum Aga Khan vor Schmerzen ohnmächtig geworden. Als sie wieder zu sich kam, hatten wir gerade die Notaufnahme erreicht. Sie schrie und flehte mich an, ihr zu helfen.« Er hustete und starrte die Zigarette lange an. »Sie haben ihr Schmerzmittel gegeben. Dann haben sie Tests durchgeführt und festgestellt, dass sie eine schwere Meningitis hatte, ausgelöst durch Aids.« Wieder hielt er inne, hob sein Portglas und trank einen kleinen Schluck, bevor er es vorsichtig auf den Kaffeetisch stellte. Er lehnte sich zurück. »Sie wollte die Ergebnisse wissen, also hab ich es ihr gesagt. Erst hab ich mich gefragt, ob sie es überhaupt begriffen hat, weil sie durch die Medikamente ziemlich erledigt war. Aber sie hat es genau verstanden. Hat eine Weile geschwiegen, aber dann hat sie mich zu sich gewinkt und gesagt: ›Bear, versprich mir, dass du es meinen Verwandten nicht sagst.‹ Ich sehe immer noch die Angst in ihren Augen. ›Sag es auch keinem von deinen Freunden. Niemandem. Versprich mir das.‹ Ich habe es ihr versprochen. Was konnte ich sonst tun? Das waren ihre letzten Worte. Nicht: ›Sag mir, dass du mich liebst‹ oder ›Bear, vergiss nicht, die Katze zu füttern.‹ Nur: ›Sag niemandem, dass ich Aids habe.‹« Er zog an der Zigarette. »Sie konnte sich dem Tod stellen, aber nicht dem Gedanken, dass die Leute von ihrer Krankheit erfahren würden.« Er fuhr sich mit der Hand übers Kinn. »Sie ist in dieser Nacht gestorben, während ich auf dem Stuhl neben ihr saß und schlief. Ich hatte nicht einmal die Gelegenheit, ihren Jungen aus der teuren Schule zu holen, auf die ich ihn geschickt hatte.«
    Die Stille schien laut widerzuhallen.
    »Wisst ihr, was mir daran am meisten Leid tut?« Er sah Jack an. »Weißt du, was das Allerschlimmste war? Ich habe sie nie mit nach Hause genommen. Meine Freunde zu Hause haben nie von Violet erfahren. Nichts. Und meine Mutter hat sie nie kennen gelernt. Ich war zu verdammt verlegen, um sie mit nach Hause zu bringen. Es war mir peinlich, meinen gebildeten Freunden und meiner Scheißfamilie von ihr zu erzählen. Ich und mein Stolz! Ich konnte sie nicht nach Hause bringen, weil ich daran gedacht habe, wie sie Violet beurteilen würden. Ihr Verhalten und so.« Er holte tief Luft und atmete wieder aus wie ein Taucher, der die Wasseroberfläche durchbricht. »Das bedaure ich jetzt. Ich bedaure es wie verrückt.«
    Im Wohnzimmer war es inzwischen fast dunkel, und nur wenige goldene Spuren waren geblieben, während die Sonne sich rasch zurückzog. Eines der Fotos auf dem Kaminsims leuchtete auf und reflektierte die letzten Sonnenstrahlen wie ein schimmernder Geist an der Wand über Bears Kopf. Dann wurde das Licht trüber und war bald vollkommen verschwunden. Das Schweigen blieb.
    Jack schaute Malaika an und sah, dass sie die geballten Fäuste an die Lippen gedrückt hatte. Er fragte

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