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Die Tränen der Massai

Die Tränen der Massai

Titel: Die Tränen der Massai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Coates
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Handgelenke ihrer Urgroßmutter, dann rieb sie ihre eigenen und erinnerte sich an die Mischung aus Angst und Zorn, die sie erfasst hatte, als sie hörte, wie Mengoru Jack diese glaubwürdigen Lügen erzählte. Sie hatte Bear durch einen Riss in der Wand gesehen, aber bevor sie zum Eingang kriechen konnte, war er schon wieder zu seinem Auto zurückgekehrt. Als die beiden davongefahren waren, hatte Malaika beinahe alle Hoffnung verloren.
    Sie spürte, wie sehr sich Kokoo von der Art, wie die jungen Schurken mit ihr umgesprungen waren, gedemütigt fühlte, denn die alte Frau hatte einige Zeit geschwiegen.
    »Kokoo«, sagte Malaika, um sie abzulenken. »Heute früh hast du begonnen, mir von meinem Schicksal zu erzählen …«
    »Ja, Kind.«
    »Bitte erzähle mir mehr.«
    »Ja, das sollte ich tun.«
    Während ein Fleck Sonnenlicht die Wand entlangschlich, erzählte Kokoo ihr die Geschichte des Stammes. Sie sagte, es sei wichtig, dass Malaika mehr darüber erfuhr, damit sie ihre eigene Rolle besser verstand. Sie sprach mal Swahili und mal Maa. Selbst ein englischer Satz, vielleicht eine Erinnerung an lange Vergangenes, fand seinen Weg in ihren Bericht.
    Sie begann ihre Geschichte in den Jahren, bevor die
Wazungu
mit ihren eisernen Schienen ins Massailand eingedrungen waren, bevor sie den Rinderherden die Rinderpest und dem Stamm die Pocken gebracht hatten. Mbatian, der
Große Laibon,
war gerade gestorben, und seine beiden Söhne hatten sich um die Nachfolge gestritten.
    »Es war Sendeyos Geburtsrecht«, sagte Kokoo. »Er war der ältere Sohn und hätte die eiserne Keule des Anführers erhalten sollen. Aber Lenana betrog seinen sterbenden Vater. Dann begann der schreckliche Krieg. Dies geschah drei Jahreszeiten, bevor ich zur Welt kam, aber meine Mutter hat mir von den wilden Kämpfen auf der Ebene von Laikipia erzählt. Nachdem viele
Moran
gestorben waren, wurde Sendeyo schließlich besiegt und floh nach Süden.
    Nach ein paar schrecklichen Jahren im Land südlich des Kilima N’jaro, wo er gegen die
Jerumani Wazungu
 – die Deutschen – kämpfte, schloss Sendeyo einen Waffenstillstand und kehrte zurück in die Ngong-Berge. Aber er sehnte sich nach Rache und setzte seinen Hass ein, um mächtige Magie heraufzubeschwören. Seine Rache war tückisch und grausam. Es wäre einfacher gewesen, Lenana schlicht zu töten, aber Sendeyo wusste, wie man hasst. Und wie man einen anderen bestraft.«
    Kokoo erzählte, wie Sendeyo Lenanas Nachkommen verflucht hatte. Der Fluch wurde nur bei der Geburt einer zweiten Tochter für ein Familienmitglied aktiv.
    Malaika konnte sich an Fragmente der Geschichte erinnern. Sie nahm an, dass es die Teile waren, die ein Kind nicht vergaß – Geschichten von Magie und Mord. »Wurde der gesamte Aiser-Klan mit dem Fluch belegt?«, fragte sie.
    »Nein. Nur unsere Familie. Lenana war dein Urgroßvater. Ich war seine vierte und letzte Frau. Unsere Familie trägt Sendeyos Fluch weiter. Wir allein.« Naisua zupfte an den langen Fäden ihres Perlenhalsschmucks. »Vielleicht könnte man deinem Urgroßvater seinen Fehler verzeihen – er war nicht weise, und sein Stolz verleitete ihn dazu, unser Gesetz zu brechen. Wenn er nur gewusst hätte, was danach geschehen würde …« Sie holte tief Luft. »Lenana hat den Frauen unserer Familie seine besondere Begabung vererbt, aber die Last, die schreckliche Last, ist geblieben.«
    Die Erinnerung schien Kokoo zu belasten wie eine körperliche Bürde. Sie fuhr mit den langen, knochigen Fingern über ihr Gesicht, zog die Haut über die Wangenknochen. Das machte ihre Augenhöhlen tiefer, und ihre Augen sahen aus wie zwei leuchtende Kohlen tief in einer Höhle. »Unsere Last besteht darin, dass wir Kinder bekommen dürfen, aber keine zweite Tochter. Dabei geht es nicht nur darum, uns selbst zu retten oder den Kidongi-Klan. Sendeyos Fluch kann nur von unserer Familie zum Leben erweckt werden, aber er trifft das gesamte Volk. Die Sicherheit
aller
Massai ist uns anvertraut.«
    Malaika war besorgt, denn die Anstrengung, sich an all diese alten Geschichten zu erinnern, schien die geringe Kraft, die ihrer Urgroßmutter geblieben war, vollkommen aufzubrauchen. »Kokoo, die Tage der Pocken sind vorüber. Du solltest dich um die Sünden unserer Ahnen nicht sorgen. Das hier sind andere Zeiten.«
    Kokoo begann wieder an ihrem Halsschmuck zu nesteln. Sie zupfte die bunten Perlengruppen in einer Prozession von Rot, Gelb und Blau um ihren Hals. »Nein, Kind. Sendeyos Fluch

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