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Die Tränen der Massai

Die Tränen der Massai

Titel: Die Tränen der Massai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Coates
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schwebt immer noch über uns. Beinahe hundert Jahre sind vergangen, seit der Fluch zum ersten Mal zuschlug. Ich war ein Jahr alt, als Lenana die zweite Tochter seiner ersten Frau genommen wurde. Mein eigener Sohn Seggi war dumm genug, den Fluch zu ignorieren. Als seine zweite Tochter zur Welt kam, verlor er sie und seine liebe Frau, als ein schrecklicher Insektenschwarm die Herden durchs Dorf jagte.« Sie drückte ihre kleinen geballten Fäuste auf die Augen. Dann schüttelte sie den Kopf und begann, schwach auf ihre Schläfen einzuschlagen. »Viele sind gestorben. Oh, so viele. Ai, die Kinder! Mein Volk …«
    Malaika legte den Arm um Kokoos Schultern. Die alte Frau zitterte. »Ai!« Sie hörte nicht auf, den Kopf zu schütteln. »Ai, ai!«
    Malaika wusste nicht, was sie sagen sollte. »Still …«, sagte sie schließlich. Sie tätschelte die Schulter ihrer
Kokoo.
»Still …«
    »Lenana war böse«, fuhr Kokoo fort. »Aber was kann man jetzt noch tun? Wenn ein Regentropfen gefallen ist, gibt der Boden ihn nicht wieder her.«
    »Wenn Sendeyo unsere Familie wirklich strafen wollte, warum hat er nicht alle unsere Kinder verflucht? Warum nur die zweite Tochter?«, fragte Malaika und nahm die Hand ihrer
Kokoo.
    »Oh, Sendeyo wusste, wie man hasst. Er wollte, dass die Frauen am meisten leiden. Sobald eine Tochter zur Welt kommt, bedeutet das das Ende des Gebärens – das Risiko danach ist zu groß. Das Ende des Gebärens bedeutet ein Ende der Ehe. Die Zweitgeborene ist diejenige, die den Fluch aufweckt, aber die erste Tochter ist ebenfalls verflucht. Stell dir vor, wie dieses Kind leidet, wenn es von seiner Rolle erfährt.«
    »Dann sollte man es ihr nicht sagen.«
    »Sie muss es wissen. Wie kann sie sonst verhindern, dass der Fluch durch ihre Töchter ausgelöst wird?« Die alte Frau ließ den Kopf hängen. »Oh, unsere Frauen tragen den größten Teil der Last für diese alten Sünden.«
    Malaika fühlte sich dafür verantwortlich, dass Kokoo so bedrückt war, und versuchte, sie zu ermutigen. »Kokoo, du sagst, die Kidongi-Frauen müssen die Last des Fluchs tragen, aber du hast auch eine besondere Begabung erwähnt. Worin besteht sie?«
    »Ja. Lenanas Geschenk.« Naisuas Ohrringe bewegten sich und fingen das Feuerlicht ein. »Seine Magie konnte sich nicht über den Fluch seines Bruders hinwegsetzen – Sendeyo hatte das Handwerk seines Vaters ebenso wie er gelernt. Aber Lenana war schlau.«
    Kokoo berichtete von Lenanas Gesetz, dass die Position eines
Laibon
auch in der weiblichen Linie der Familie weitergegeben werden konnte. Das war zuvor nie möglich gewesen, aber sein Gesetz bedeutete, dass auch Frauen die Stellung und die Magie erben konnten, die damit verbunden war. Ein Mann würde nur
Laibon
werden können, wenn seine Vorgängerin ihn dazu erklärte.
    »Er wusste, dass wir Frauen für den Fluch, den wir mit uns trugen, bestraft würden, dass man uns vielleicht sogar aus dem Stamm verbannen würde. Also änderte er die Gesetze und machte mich zur ersten Frau, die als
Laibon
bezeichnet wurde. Ich war noch ein Mädchen, sogar jünger als du jetzt, aber ich führte die nördlichen Stämme über die Linie aus Eisen dorthin, wo die Briten uns haben wollten. Oh, das ist schon so lange her … Ich war schwanger mit Lenanas Kind, Seggi. Da ich keine Tochter hatte, die mir nachfolgen konnte, wurde er
Laibon,
als er zum Ältesten wurde.« Naisua schüttelte den Kopf. »Als er mir genommen wurde, ist diese Aufgabe an mich zurückgefallen. Aber ich bin alt. Sieh mich an. Zu alt.«
    Sie seufzte. »Deine Mutter hat dich weggebracht, weil sie die Massaiwelt nicht verändern konnte, aber sie hat dir nicht deine Gabe genommen, die Macht, die mit deinem Erbe kommt.«
    »Meinem Erbe?«
    »Kind, wirst du meine Stelle als
Laibon
einnehmen? Wirst du unser Volk durch die schrecklichen Zeiten führen, die uns bevorstehen?«
    Malaika versuchte, der Alten ihre Hand zu entziehen, aber Naisua hielt sie fest. »Kokoo, ich war keine Massai mehr, seit ich das Dorf vor so vielen Jahren verlassen habe. Und ich kann keine Massaimagie … ich habe keine –«
    »Du weißt vielleicht nicht, dass sie da ist. Du spürst sie vielleicht nicht. Aber du hast diese Begabung.«
    Malaika konnte ihr Spiegelbild in Kokoos Augen sehen.
    »Du hast es in dir, Malaika. Es wartet nur auf den richtigen Zeitpunkt.«
    »Und wann kommt dieser Zeitpunkt?«
    »Wenn du sie am meisten brauchst, wird die Macht erwachen.«
    Malaika verlagerte ihr Gewicht auf dem

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