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Die Tränen der Massai

Die Tränen der Massai

Titel: Die Tränen der Massai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Coates
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keine andere Möglichkeit.
    Er wusste nicht, was er in einem afrikanischen Dorf nach Einbruch der Dunkelheit zu erwarten hatte, aber im Augenblick war alles still. Leise Musik und Gelächter wehten von Mengorus Haus zu ihm her. Wenn der Wind die Richtung wechselte, lag eine unheimliche Ruhe über dem Dorf.
    Er hatte Glück. Die Stimmen der Wachen kamen von der anderen Seite des Rangerovers, der jetzt in der Öffnung im
Boma-
Zaun stand. Jack schlich tief geduckt darauf zu. Als er unter das Auto spähte, sah er die Füße von drei Männern auf der anderen Seite.
    Er schlüpfte in die Hütte, in die er Malaika zuvor hatte gehen sehen. In dem rauchigen Vorraum holte er tief Luft, dann spähte er in den großen Raum. Eine alte Frau, eine sehr alte Frau, saß im Schneidersitz vor einem flackernden Feuer. Er konnte sie deutlich im Feuerlicht erkennen und kam nur wegen ihrer geringen Größe zu dem Schluss, dass sie eine Frau sein musste. Sie war kaum größer als ein Kind, aber kein Kind hatte solche Augen; sie glühten geradezu in ihrem faltigen Gesicht. Mit einiger Überraschung stellte Jack fest, dass sie ihn forschend betrachtete. Sie sah ihn nicht nur an, sie schaute in ihn hinein. Sie hätte seine tiefsten Geheimnisse herausfinden können, wenn er den Blick erwidert hätte. Das Adrenalin wirkte sich seltsam auf seine Fantasie aus.
    Er ging zögernd auf das Feuer zu. Sie akzeptierte das gelassen. Mit dem Zeigefinger ihrer kleinen, zierlichen Hand deutete sie auf einen niedrigen dreibeinigen Hocker ihr gegenüber. Jack setzte sich und kam sich sehr ungelenk vor. Seine Knie befanden sich in der Höhe seiner Schultern, während die alte Frau sich tief in die weichen Falten ihres roten Baumwollgewands zurückgezogen hatte. Sie lächelte, als hätte sie ihn erwartet. Ein unerschütterliches Lächeln. Vielleicht hatte Malaika ihr gesagt, dass er kommen würde. Er fragte sich, wo er anfangen sollte. Sein Instinkt riet ihm, anzunehmen, dass sie alles wusste. »Äh …«, flüsterte er. »Wo ist sie?«
    Die alte Frau schüttelte den Kopf. »Weg.«
    »Weg! Wohin?«
    »Sie sagen Muhoro.« Es schien, als würde die Anstrengung, die sie aufwenden musste, um zu antworten, sie vollkommen erschöpfen. Sie hatte Mühe, den Kopf aufrecht zu halten.
    »Muhoro … Muhoro …« Er war in dem kleinen Fischerdorf gewesen, als die Sonne über dem See unterging. Drei Frauen, die Feuerholz trugen, hatten die längsten Schatten geworfen, die er je gesehen hatte – drei endlose Streifen, die über die Straße und einen sanften Hang mit wehendem gelben Gras verliefen und dann außer Sichtweite geraten waren. An mehr konnte er sich nicht erinnern.
    »Ich kenne dieses Muhoro nicht«, sagte die alte Frau.
    »Es liegt am Viktoriasee«, sagte er und erinnerte sich daran, dass er nur nach Muhoro gefahren war, um die Zeit totzuschlagen. Er war neugierig geworden, als Onditis Name neben dieser Ortsbezeichnung auf einer Akte im Büro des Provinzkommissars in Kisumu aufgetaucht war. Offensichtlich würden sie dort das Elfenbein verladen und es zusammen mit Malaika aus Kenia hinausbringen. Nach Tansania? Uganda?
    »Wann sind sie aufgebrochen?«, fragte er. Die alte Frau legte den Kopf schief und hob eine schlanke Hand, um zu zeigen, dass sie ihn nicht verstand. »Malaika?« Er berührte seine Armbanduhr. »Wann weg?« Sie nickte und hob einen Finger.
    »Eine.«
    »Vor einer Stunde. Verdammt, sie muss in diesem Laster gewesen sein.«
    Die Alte nickte. »Weg. Laster.«
    Wenn er sich richtig an die Landkarte Kenias erinnerte, befand sich der See etwa hundertfünfzig Kilometer westlich des Dorfs. Auf diesen Straßen würde ein Laster drei Stunden brauchen. Der Landcruiser könnte die Strecke in zwei Stunden bewältigen. Außerdem würden die Männer Zeit benötigen, um das Elfenbein umzuladen. Er könnte es vielleicht schaffen.
    Er bedankte sich bei der alten Frau, dann ging er zur Haupttür und spähte an der Kuhfellklappe vorbei. Die Männer waren nicht zu sehen, aber man hörte ihre Stimmen vor dem Auto. Er würde nicht auf die gleiche Weise aus dem Dorf hinauskommen können, wie er hereingekommen war.
    »Das Tor«, flüsterte er zurück zum Feuer. »Geht nicht. Kein Weg.«
    Sie nickte, und er half ihr auf die Beine. Sie schien nichts zu wiegen.
    »Komm.« Sie führte ihn nach draußen und um die Hütte herum. Dort gab es ein kleines Loch im
Boma-
Zaun, das wahrscheinlich die Dorfkinder benutzten. Sie beobachtete, wie Jack sich auf den Bauch legte, um

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